The Weeknd: Heulbojenmusik aus schwedischen Schablonen.

Foto: Universal Music

Einzelkinder und Einzelgänger haben es zurzeit besser. Sie wissen mit sich meist mehr anzufangen als Menschen, die ständig die Präsenz und Stimulanz anderer brauchen. Abel Tesfaye ist so ein Einzelgänger.

Der 30-jährige Kanadier ist der Welt seit circa acht Jahren als The Weeknd bekannt. Nach Veröffentlichungen übers Netz und Lob des Rappers und Landsmanns Drake erschien 2012 The Trilogy. Eine Art Debüt, das viele von Tesfaye bis dahin veröffentlichte Tracks versammelte und den eher als Enigma gehandelten Mann zum Star machte.

Niemand hat mich lieb

Seine Musik stopfte ein Loch, das mit dem Ableben des Michael Jackson entstanden war. The Weeknd steht synonym für zeitgenössischen R 'n' B, was im Falle von Tesfaye sogar eine gewisse stimmliche Verwandtschaft zu Michael Jackson bedeutet. Wie der Peter-Pan-King-of-Pop-niemand-hat-mich-lieb-Superstar kiekste und falsettierte sich The Weeknd durch leidgeprüfte Geständnisse aus dem Heimstudio: Trotz und Tran und THC.

In die freiwillige Isolation zog sich Tesfaye schon als Teenager zurück, um, anstatt höherer Bildung, den Versuchungen des Drogenkonsums nachzugeben — immer den Traum vor Augen, dereinst Popstar zu werden. Der sollte sich erfüllen.

Trockensex

Ein von Heimwerker-Pop, Dünnpfiff-R-’n'-B und digitaler Gefühlsausdünnung willig gestreamtes Publikum empfing ihn mit offenen Headsets. Seine Underdog-Nerd-Biografie sowie sein schlappes, dabei durchaus zum Saubartln neigendes Wesen konvenierten bestens mit Hörerinnen und Hörern, die nächtens depressiv vor dem Laptop saßen, nachdem sie sich bei einer Trockensexübung auf Youporn kurz der Illusion des Zwischenmenschlichen hingegeben hatten. Schnell noch ein Hate-Post abgesetzt, dann in den Polster weinen, bis der Sandmann kommt.

TheWeekndVEVO

In diese Stimmung schlägt nun erneut sein eben erschienenes Album After Hours. Bereits der Titel platziert das Werk ins Spätnächtliche — oder dorthin, wo das Gift des ersten Sonnenlichts nach einer langen Nacht die Pupillen prüft. Auch dieses Album soll aus menschlicher Enttäuschung und der daraus entstandenen Melancholie geboren worden sein: Tesfaye ist die Freundin abgebogen, die vorab veröffentlichten Songs Heartless, Blinding Lights und After Hours sollen das behandeln.

Lispeln und Leid

Insgesamt zeigt sich auf After Hours eine Hinwendung zu 1980er-Jahre-Pop. Songs wie Save Your Tears dürften in keiner diesbezüglichen Themendisco negativ auffallen. Sie stehen in Erbfolge von Liedern, wie sie Limahl und andere Giganten des Seichten damals populär gemacht haben. Das Saxofongebläse von In Your Eyes unterstreicht diese Ausrichtung, dementsprechend plätschert es aus dem Gerät.

Stellenweise lispelt The Weeknd sein unermessliches Herzeleid via Auto-Tune ins Mikro, an anderer Stelle gibt er sich bestimmter, richtet sich an der Gewissheit auf, dass andere Mütter ebenfalls schöne Töchter haben.

Nach schwedischer Fertigteilbauart

Musikalisch maßgeblich mitverantwortlich war wieder die schwedische Ein-Mann-Hitmaschine Max Martin. Zu dessen Kundenstock gehören Céline Dion, Britney Spears, die Backstreet Boys, Usher oder Katy Perry, also die Speerspitze der dreiminütigen Kunstleid- und Gefühlsbehaupter im Formatradio.

Für The Weeknd hat Martin ganze Arbeit geleistet. Der wird mit After Hours seinen Ruf als Superstar festigen, allein die Vorbestellungen und die Streams der Singles katapultierten das Album schon in die Charts. Wer überraschungsarme Fertigteilmusik mag, wird's mögen, wer sich für Musik interessiert, kennt wahrlich Interessanteres. (Karl Fluch, 20.3.2020)