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Die Maßnahmen rund um das Coronavirus sind für viele Menschen nur schwer zu fassen – besonders für jene, die nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen.

Foto: picturedesk / Roland Mühlanger

Ausgangsbeschränkungen, Hygienemaßnahmen, Social Distancing. Die von der Regierung verordneten Maßnahmen gegen das Coronavirus wirken dann, wenn sie von allen mitgetragen werden. Das funktioniert aber nur, wenn sie auch von der gesamten Bevölkerung verstanden werden. Selbst Menschen mit deutscher Muttersprache fällt es schwer, alle Informationen rund um das Coronavirus zu fassen. Umso schwerer tun sich derzeit Menschen, die nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen.

Schon seit vergangener Woche stellt die Stadt Wien deshalb wichtige Informationen zum Umgang mit dem Coronavirus in Englisch, Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Türkisch sowie in Gebärdensprache zur Verfügung. Mit Anfang der Woche veröffentlichte der Österreichische Integrationsfonds (ÖIF) nach und nach Informationsblätter in den 14 wichtigsten Migranten- und Flüchtlingssprachen – darunter auch Arabisch, Russisch und Paschtu. "Wir stellen somit sicher, dass Menschen mit Migrationshintergrund und Flüchtlinge auch in ihren Muttersprachen alle Vorgaben und Verhaltensregeln vermittelt bekommen und diese dann entsprechend mittragen und weitergeben", erklärt Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) das Informationspaket des ÖIF.

Barrieren in der Kommunikation

"Die Übersetzungen sind ein erster wichtiger Schritt", meinte Aleksandra Milosevic. Sie ist Projektkoordinatorin von Start Wien, einem österreichweiten Stipendienprogramm für Oberstufenschüler mit Migrationshintergrund. "Ein Problem bleibt aber die Art der Kommunikation." Zwar beginnen Medien (auch der STANDARD) sowie Ministerien, etwa die Integrationsministerin, damit, übersetzte Informationen anzubieten und in Social Media zu verbreiten, es bestehen aber gewisse Barrieren. "Die Postings sind meistens in Deutsch verfasst, und erst Links führen dann zu Informationsblättern in Fremdsprachen", sagt Milosevic.

Die Jugendlichen, mit denen Milosevic bei Start zusammenarbeitet, sprechen sehr gut Deutsch, ihre Familien und andere Bezugspersonen in den Communitys verfügen oft aber über keine ausreichenden oder gar keine Deutschkenntnisse. Eine Tatsache, die in Zeiten der Corona-Krise ein Risiko darstellt. "Unsere Jugendlichen sind zum Teil seit ihrer Kindheit die Dolmetscher ihrer Familien. Ziel ist, dass sie jetzt als Multiplikatoren wirken und die wichtigen Informationen in ihre Netzwerke und Communitys weitertragen." Das funktioniere umso besser, je mehr leicht teilbares Informationsmaterial vorliege.

Vulnerable Gruppen

Generell sei aber zu hinterfragen, warum Übersetzungen in Fremdsprachen in Österreich immer erst nachträglich geliefert werden, meint Judith Kohlenberger. Die Kulturwissenschafterin forscht an der Wirtschaftsuniversität Wien im Bereich Sozialpolitik und Integration. "Das zeigt, dass Österreich noch nicht im Selbstverständnis einer Einwanderungsgesellschaft angekommen ist."

Die Gruppe der Menschen, die auf Fremdsprachen angewiesen sind, ist sehr heterogen, erklärt Kohlenberger. Es handle sich dabei um vulnerable Gruppen wie geflüchtete Frauen, die nach ihrer Ankunft in Österreich eine sehr hohe Geburtenrate haben. Ihr Integrationsprozess setzt dadurch oft erst später ein. Andere Geflüchtete befinden sich noch in Deutschkursen, weil sie erst seit kurzer Zeit in Österreich sind.

Es braucht auch soziale Integration

Die derzeitige Krise offenbare aber auch Versäumnisse in der Integration der letzten Jahrzehnte, meint Kohlenberger. Denn gerade schon länger anwesende migrantische Communitys würden, wenn sie kulturell nicht gut integriert sind, vorrangig Medien aus ihren Herkunftsländern konsumieren. Das habe weniger sprachliche Gründe, sondern sei ein Hinweis dafür, welchem Land man sich mehr verbunden fühle. Besonders für ältere Generationen sei dies nun – als Risikogruppe des Coronavirus – problematisch.

"Wir sehen jetzt, dass Investitionen in Integration allen in Österreich lebenden Menschen zugutekommen", sagt Kohlenberger. "Wir profitieren alle, wenn Migranten und Geflüchtete sprachlich, aber auch sozial gut integriert sind." Denn selbst wenn Sprachkenntnisse nicht ausreichend vorhanden seien, kämen wichtige Informationen bei jenen an, die genug soziale Kontakte haben – sowohl zur eigenen Community als auch zur Mehrheitsgesellschaft. "Da zeigt sich, wie wichtig eine gut durchmischte Gesellschaft ist."

Migranten als Systemerhalter

Kohlenberger sieht einen weiteren Aspekt, der durch die Krise dargelegt wird: jenen der sozialen Ungleichheit. "Migrationshintergrund bedeutet in Österreich leider oft, dass man aus einer sozial schwächeren Familie kommt." Wie sich während der Ausgangsbeschränkungen zeige, würden gerade Migranten häufig systemerhaltende Tätigkeiten ausüben und seien derzeit weiterhin im Supermarkt, bei der Müllabfuhr oder als Reinigungs- und Pflegekräfte tätig. "Das 'Team Österreich' ist überproportional eines mit Migrationshintergrund. Viele Systemerhalter sind vom Pass her eigentlich keine Österreicher. Und dennoch setzen sie sich zum Wohle des Landes derzeit einem Risiko aus."

Zugleich würden besonders Migranten und Geflüchtete wegen zum Teil prekärer Wohnverhältnisse die Maßnahmen oft nicht so umsetzen können, wie von den Behörden gefordert. "Da sollten wir die Schuld nicht im angeblich unkooperativen Verhalten suchen, sondern uns eher die strukturelle Frage stellen", meint Kohlenberger. Sozial schwächere Familien würden zum Teil auf engstem Raum zusammenleben, auch Möglichkeiten der außerschulischen Betreuung seien oftmals nicht gegeben, weil es an PCs oder Internetzugang fehle. "Wenn sich jemand aufgrund seiner Lebensumstände schwertut, die geforderten Maßnahmen einzuhalten, hat das gesamtgesellschaftliche negative Konsequenzen." (Davina Brunnbauer, 20.3.2020)