Sebastian Kurz spricht ziemlichen Klartext. Er verzichtet auf Beschönigungen und fromme Lügen (soweit erkennbar) und konfrontiert die Einwohner dieses Landes mit unangenehmen Aussagen: Er spricht wiederholt von "Leid, Verzweiflung und Tod", die es geben werde. Man könne bremsen, aber nicht alles verhindern. Er verwendet diese Worte nicht, aber er sagt zwischen den Zeilen, dass die Möglichkeit einer Katastrophe im Raum steht. Ein Minimum sei, dass sich jeder an die Vorgaben hält. Die Situation werde "sehr, sehr lange" dauern. Also Monate, vielleicht sogar bis Jahresende.

Es ist allerdings möglich, sogar wahrscheinlich, dass Kurz uns nicht alles sagt. Die Epidemiologen, die die Regierung beraten, haben mit Sicherheit haarsträubende Wenn-dann-Szenarien parat. Die Ökonomen mit Sicherheit ebenso. In den USA spricht man von der Möglichkeit einer Großen Depression wie in den 30er-Jahren mit 25 Prozent Arbeitslosen und Durchschnittslöhnen, die um 60 Prozent fielen. Auch bei Gesundheitsminister Rudolf Anschober, der mit der notwendigen Ernsthaftigkeit auftritt, kann man sich einiges dazu denken. Er sagt, wir seien "zwei Wochen hinter Italien". Das soll wohl heißen, dass wir eine Entwicklung wie dort noch abwenden können, oder?

Sebastian Kurz konfrontiert die Einwohner dieses Landes mit unangenehmen Aussagen.
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Aber auf jeden Fall erzählen sie uns keinen schöngefärbten Blödsinn, und das ist schon einmal etwas.

Massive Staatsintervention

Was die notwendige Ernsthaftigkeit, Realitätsnähe und richtige Sprache im öffentlichen Auftritt betrifft, erweckt die Regierung überwiegend Vertrauen. Ob sie die richtigen Maßnahmen rechtzeitig und weise getroffen hat und trifft, ist schwerer zu sagen. Man kann der Meinung sein, dass man das Überschwappen des Virus von China nach Europa etwas früher hätte für möglich halten können. Aber ob die drastischen Maßnahmen schon vor, sagen wir, einigen Wochen von der Bevölkerung akzeptiert worden wären? Österreich war mit diesen Maßnahmen immerhin unter den Ersten in Europa.

Enorm wichtig war, dass Sebastian Kurz und die Türkisen sofort ihre Ideologie vom "schlanken Staat" über Bord geworfen haben und auf massive Staatsintervention setzen. Die Große Depression der 30er-Jahre war ja auch durch einen unsinnigen Austeritätskurs konservativer Regierungen in den USA und Europa (sowie Österreich) fatal verschärft worden. Zumindest die innere Einstellung ist heute richtig. Das gilt allerdings nicht für den Notenbankchef Robert Holzmann, der mit seiner Philosophie des "Nur die Starken dürfen überleben" direkt aus den 30er-Jahren zu kommen scheint.

Vertrauen verdienen grosso modo auch unsere Institutionen (übrigens: warum nicht die Gehälter für medizinisches Personal erhöhen, und sei es temporär?). Das ist ein vorläufiger Befund, der sich hoffentlich nicht ändert.

Aber eines kann man schon jetzt sagen: Österreich mag manchem als überverwalteter Staat erschienen sein (Stichwort "Sparen im System"), aber in einer Megakrise wie dieser sind wir vermutlich froh, dass unsere Institutionen nicht kaputtgespart wurden wie in den USA, Großbritannien oder Italien. (Hans Rauscher, 21.3.2020)