Seit die Konsumenten wie Hamster über die Nudelvorräte im Handel hergefallen sind, produziert Joachim Wolf, Eigentümer des Teigwarenherstellers in Güssing, in doppelter Schicht. Geradezu entsetzt ist er von der Idee, ihn persönlich aufzusuchen. Schon sein striktes Zeitkorsett spricht gegen ein solches Vorhaben, aber auch die strengen Vorgaben rund um die Corona-Krise.

STANDARD: Unser Interview erfolgt unter ungewöhnlichen Bedingungen. Wir telefonieren, weil Sie Sorge um Ihre Nudelproduktion haben und nicht mehr einfach so jemanden in der Firma empfangen.

Wolf: Ja, hoffen wir, dass der Spuk bald aufhört.

STANDARD: Sie klingen erschöpft. Was unterscheidet Ihren derzeitigen Alltag von einem normalen?

Wolf: Wir haben jetzt jedes Wochenende durchproduziert, in normalen Zeiten erzeugen wir rund 140 Tonnen Nudeln pro Woche, jetzt haben wir die Kapazitäten fast verdoppelt.

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Wolf nimmt sich trotz der turbulenten Tage Zeit für ein Gespräch. Kurz muss er unterbrechen, weil er sich darum kümmern muss, dass seine acht Mitarbeiter aus Ungarn nicht an der Grenze feststecken.
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STANDARD: Und das unter verschärften Bedingungen?

Wolf: Meine Mitarbeiter sind alle am Montag gleich in der Früh eingeschult worden. Die dürfen wirklich nur zu Hause sein, die österreichischen sowieso, aber auch die ungarischen. In die Firma lasse ich fremde Personen, Zustelldienste, die Ware abholen oder etwas bringen, gar nicht herein. Bei uns ist alles dicht, damit wir ja nicht irgendwo eine Infektion hereinkriegen. Wenn das passiert, würde es wahrscheinlich ein Malheur werden.

STANDARD: Seit dem Virus ist also alles anders?

Wolf: Ja, sowieso. Die Mitarbeiter sind alle um sechs Uhr da, dann haben wir jetzt quasi einen Zweischichtbetrieb eingeführt. Ich muss sagen, meine Mitarbeiter sind wunder-, wunderbar. Es gibt im Unternehmen einen Zusammenhalt, wie es ihn schon lange nicht mehr gegeben hat. Nicht dass wir streiten, aber dass alle so aufeinander Rücksicht nehmen, dafür gibt es ein großes Lob.

STANDARD: Ihre Firma gibt es schon lange. Die Bäckerei hat Ihr Urgroßvater in Güssing aufgemacht. Ihr Vater hat mit dem Großvater die Nudelfabrik dazu aufgebaut. Sie selbst sind jetzt fast 40 Jahre im Betrieb. Gab es schon eine ähnlich einschneidende Zeit?

Wolf: Nein, nein, nein. So etwas habe ich noch nie erlebt. Vor dem EU-Beitritt war es auch arg. Damals sind die Rohstoffpreise in Österreich um einiges höher gewesen als innerhalb der EU. Da haben wir nicht gewusst, wie wir tun sollen. Das war auch sehr turbulent. Aber nicht so turbulent wie jetzt. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass es zu meines Vaters Zeiten einmal so war.

STANDARD: So turbulent ist es, zumindest was Ihren Betrieb betrifft, weil sich plötzlich alle um Nudeln gerissen haben, als gäbe es kein Morgen – neben dem Klopapier. Haben Sie eine Erklärung, warum so viele Menschen losgestürmt sind, um zu hamstern? Machen wir wohlhabenden Menschen uns mehr Sorgen ums Essen als ärmere?

Wolf bemüht sich in seinem Betrieb in Güssing um Kreislaufwirtschaft. Die Eier werden von den eigenen Hühnern in Bodenhaltung gelegt, das Futter für sie auf den eigenen Feldern angebaut.
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Wolf: Das glaube ich nicht. Vielleicht haben die Leute gar nicht nachgerechnet, wie viel ich für eine Portion Nudeln brauche oder für eine Portion Kartoffeln. Sie haben ganz einfach irgendwie Daumen mal Pi eingekauft.

STANDARD: Wie man das eigentlich meistens macht. Nur, jetzt hat bei Daumen mal Pi viel hineingepasst.

Wolf: Ja, da haben die Menschen eben genommen, was da war, haben sich gedacht, das hätte ich gern und das auch. Und auf einmal haben sie 20 Kilogramm Nudeln im Einkaufskorb gehabt. Dabei reicht ein 500-Gramm-Packerl für vier Personen als Hauptspeise. Da braucht man ein bisserl Zwiebel dazu, anschwitzen mit Olivenöl, und dann gibt man Parmesan darüber. Als Beilage braucht man überhaupt nur 60 bis 70 Gramm.

STANDARD: Ist das ein Supermarktphänomen, oder ging es in Ihren Bäckereien mit angeschlossenen Greißlereien auch so zu?

Ein Logistik-Professor erklärt: So gäbe es genug Klopapier für alle.
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Wolf: Die Leute haben schon dort und da ein bisschen mehr Nudeln mitgenommen, vielleicht drei Packerln Mehl statt eines, aber nicht so krass wie in den Supermärkten. Ich war vergangene Woche in verschiedenen Märkten in Fürstenfeld. Die Leute haben sich geschoben, wie wenn ein Atomkrieg käme. Da bekommst du fast Angst. Da denkt sich der eine, wenn der andere zehn Packerln nimmt, muss ich auch zehn nehmen. Denn der wird schon wissen, warum.

STANDARD: Mittlerweile hat sich die Lage entspannt. Sie haben neben Brot und Nudeln für die Nudelsuppe auch Spiralnudeln, Buchstabennudeln, Walznudeln, Bandnudeln. Hatten die Leute in der Hektik bestimmte Vorlieben?

Wolf: Ich glaube, sie greifen einfach zu. Es ist ja so: Ein Viertel des Sortiments macht 80 Prozent des Umsatzes. Das andere sind Nischenprodukte, die auch vorhanden waren im Lager. Nachproduziert haben wir die Mainstreamprodukte, zehn Formate. Wenn die Einkaufsgewohnheit eines Konsumenten ist, dass er Spaghetti haben will, dann kauft er sich zu dem Zeitpunkt keine Strozzapreti.

Nudeln und Klopapier wurden zuletzt zur Mangelware. Jetzt fahren die Nudelhersteller Sonderschichten, damit die Lager im Handel wieder aufgefüllt werden. Bis nach Ostern wird in Güssing "auf Teufel komm raus" weiterproduziert.
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STANDARD: Sie haben über 30.000 Hühner. Kommen die mit dem Eierlegen nach?

Wolf: Nein. Meine Hendln legen rund um die Uhr, aber das ist natürlich zu wenig. Da musste ich zukaufen. Wir hatten auch bei den Kartons schon Engpässe. Da hat uns unser Kartonlieferant nach vorn gereiht gegenüber anderen Artikeln, die nicht so wichtig sind. Ich verwende nur österreichische Rohstoffe. Da haben wir mit den Vertragsbauern schon einen Abschluss gemacht, bevor die Hysterie ausgebrochen ist. Da bin ich versorgt.

STANDARD: Sie haben viele Umweltinitiativen gestartet, als Erster eine Verpackungsmaschine für Papier angeschafft, eine eigene Biogasanlage, bauen das Futter für die Hendln selbst an. Man kennt Sie, aber berühmt werden Sie jetzt, weil die Nudeln plötzlich zu Gold geworden sind. Grämt Sie das?

Wolf: (lacht) Nein. Wir Menschen sind halt Gewohnheitstiere. Ich habe in meinem ganzen Leben das Schnitzel in Öl herausgebacken bekommen, wenn ich es in Schmalz herausgebacken bekomme, tut mir die Gabel weh.

STANDARD: In Ihrem Unternehmen arbeiten alle wie wild. Die Wirtschaft kommt zum Erliegen, machen Sie sich Sorgen, wie es in nächster Zeit weitergeht.

Wolf: Ja, sowieso. Wir werden wahrscheinlich im April, wenn die Hamsterkäufe verdaut sind und der normale Alltag sich in zwei, drei Monaten wieder einfindet, Daumen drehen, weil die Leute daheim einen Haufen Nudeln im Regal haben oder in der Speis. Ich spüre das jetzt schon bei meinen Bäckereigeschäften, das ist total zurückgegangen.

STANDARD: Wenn man so hart arbeitet und andere sich jetzt Milliardenhilfen abholen, wurmt das?

Wolf: Nein, nein, Moment, ich sehe mich hier als den Versorger. Die anderen holen sich Milliarden ab, damit sie nicht eingehen. Ich werde wohl auch dort und da Kurzarbeit machen. Jetzt müssen wir zusammenhalten, da kann nicht einer auf den anderen eifersüchtig sein oder der eine glauben, der andere verdient jetzt einen Haufen Geld.

STANDARD: Ist es nicht so?

Wolf: Die Eier, die ich jetzt zukaufe, sind um etliches teurer, die Überstunden, Sonntagsstunden, Samstagsstunden, alles ist teurer. Und wenn sich das Ganze erholt hat, braucht der Markt nichts mehr. Ich bin auch kein Gewinner in dieser Situation. Im Gegenteil.

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Die Energie für den Betrieb stellt man selbst her. Die Mitarbeiter können hier natürlich nicht Energie tanken.
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STANDARD: Es heißt ja immer, dass die Produzenten sich von den Supermärkten die Preise diktieren lassen müssen. Jetzt können Sie den Spieß doch umkehren ...

Wolf: Ich kann ja jetzt nicht hergehen und sagen, weil du das jetzt unbedingt brauchst, werde ich teurer. Das macht man nicht. Jetzt muss ich einmal die Krot fressen, und wenn alles vorbei ist, muss ich mit dem Handel reden. Da muss man sich schon verlassen können aufeinander. Wenn eine Notsituation entsteht, können wir alle zusammenhalten. Das ist das Schöne an dieser Situation, alles andere hätten wir nicht gebraucht.

STANDARD: Sie wollten ja früher Weltenbummler werden. Aufgrund des Virus, das zum Weltenbummler geworden ist, können Sie jetzt nicht mehr gut essen gehen, wie Sie es gerne tun. Wie entspannen Sie sich an diesen stressigen Tagen?

Wolf: Ich esse am Abend mit meiner Frau und meinen zwei Buben, dann schau ich noch ein bisserl fern und lese.

STANDARD: Passend zur derzeitigen Lage einen Thriller?

Wolf: Nein, Wagner. Ich bin ja Richard-Wagner-Fan. Jetzt wurden natürlich auch die Veranstaltungen in der Staatsoper abgesagt, ich hatte Karten für den Ring, das tut schon weh. Götterdämmerung wäre auf dem Programm gestanden. (Regina Bruckner, 22.3.2020)