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Der Nachweis des Virus ist eine Kapazitätsfrage. Rachenabstriche müssen händisch verarbeitet werden. Das macht breite Massentestungen schwierig. An einer Erweiterung der Kapazität wird gearbeitet.

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Eine der großen Fragen rund um den Corona-Ausbruch weltweit ebenso wie in Österreich lautet, wie hoch die Dunkelziffer ist: Wie viele Menschen sind mit Sars-CoV-2 infiziert, scheinen aber in keiner Statistik auf? Experten beim Institut für Höhere Studien (IHS) haben dazu in den vergangenen Tagen eine erste Berechnung erstellt. Eigentlich sollte man eher von einer Schätzung sprechen, weil auch hier mit einigen unsicheren Annahmen operiert wurde.

Unterschiede bei Inkubationszeit

Zwischen dem Kontakt zum Erreger und den ersten Symptomen vergehen im Mittel in etwa fünf bis sechs Tage, das ist inzwischen durch mehrere Studien belegt. Wer Symptome hat, muss sich erst melden, macht das aber vielleicht nicht sofort. Wer zum Beispiel nur ein Kratzen im Hals verspürt, wird vielleicht zuwarten.

Dann wird ein Abstrich gemacht, die Laboranalyse dauert ebenfalls seine Zeit. IHS-Gesundheitsexperte Thomas Czypionka und seine Kollegin Miriam Reiss nehmen an, dass dieser Prozess neun bis zehn Tage in Anspruch nimmt. Die offiziellen Zahlen zu den Corona-Fällen in Österreich, die wir derzeit sehen, sind in Wahrheit also ein Blick neun bis zehn Tage zurück.

Rückschau und Vorschau

Das IHS hat nun die offiziellen Fallzahlen in Österreich vom 17. März genommen und um neun Tage zurückgerechnet und für diese Zeit ein exponentielles Wachstum bei der Zahl der Infizierten angenommen. Hinzu kommt aber noch ein Faktor, der berücksichtigt werden muss: Manche Menschen werden nie getestet, entwickeln auch keine oder kaum Symptome. Aus Italien gibt es Untersuchungen, wonach bis Ende Februar gut 72 Prozent der Fälle unerkannt geblieben sind. Es sind somit dreimal mehr Menschen infiziert, als angenommen. Das IHS berücksichtigt diesen Wert auch bei seiner Analyse. Ergebnis: Am 17. März lag die Zahl der gemeldeten Infektionen in Österreich bei 1.332 Personen. Das IHS kommt aber auf 54.500 Fälle in der Realität nach der beschriebenen Rechenmethode.

Diese exakte Zahl sei aber nebensächlich, sagt Czypionka, das sei eher ein "Blick in die Glaskugel". Wichtig ist ihm, einen anderen Punkt festzuhalten: Zu sagen, in den offiziellen Statistiken gibt es nur wenige tausend Fälle, weshalb sich alle entspannen können, ergebe ein trügerisches Bild.

Behörden, die Infektion überwachen

Aber stimmen diese Annahmen überhaupt? Gesundheitsminister Rudi Anschober hatte diese Woche in einem "ZiB 2"-Interview gemeint, dass Analysen darauf hindeuten, dass die Dunkelziffer in Österreich relativ niedrig ist. Wie kommt Anschober darauf? In Österreich überwacht das Gesundheitssystem regelmäßig die Influenzasituation im Land über das sogenannte Influenza-Surveillance-System. Dabei werden aus klinischem Bereich und von Laboren Patienten gemeldet, die positiv auf Influenza-Viren getestet wurden. Das sind Menschen, die zum Beispiel wegen grippalen Symptomen beim Arzt vorstellig wurden.

Aus diesen Zahlen wird hochgerechnet, wie viele Grippekranke es in Österreich gibt. Seit dem 24. Februar wird im Rahmen der Proben auch auf Sars-CoV-2 getestet. Bei 824 Tests waren davon bisher 20 positiv, wobei die Zahlen in den vergangenen zwei Wochen angestiegen sind. Eine offizielle Hochrechnung von diesen Werten wie bei der Grippe gibt es noch nicht. Sicher ist, dass in Österreich nur eine begrenzte Zahl an Menschen auf Corona getestet wird. Selbst bei Menschen, die mit Infizierten in Kontakt waren, wird nur geprüft, wenn Symptome auftreten. Und Menschen, die husten und fiebern, nicht getestet, sofern sie keinen Kontakt zu Infizierten hatten.

Kapazitäten aufbauen

Das liegt an den Kapazitäten im System. Testkits gibt es genug. Allein die Thalgauer Biotech-Firma Procom Cure gibt an, dass sie 100.000 Corona-Tests täglich ausliefern könnte. Nur braucht es zusätzlich Laborkapazitäten für die Auswertung der Proben. Hier ist ein Nadelöhr. Hinzu kommt noch eines: Da Menschen, ohne schwer erkrankt zu sein, nicht in Spitäler sollen, wird in diesen Verdachtsfällen zu Hause getestet. Das Rote Kreuz gibt an, dass man aktuell 3.700 mobile Tests am Tag durchführen kann. Inkludiert sind hier Testungen bei mobilen Stationen, zu denen Betroffene selbst kommen. In Wien sind 20 Fahrzeuge unterwegs – daran sieht man, dass nur eine begrenzte Zahl von Menschen untersucht wird.

Dorf als Studienobjekt

Würde sich durch Massentestungen was ändern? Seit Tagen kursiert die Geschichte von dem italienischen Städtchen Vo Euganeo. Dort hat das Rote Kreuz mit Forschern der Uni Padua bei allen Bewohnern einen Abstrich gemacht. Dadurch wurden symptomlose Virusträger erkannt. Die Betroffenen wurden isoliert, konnten also niemanden anstecken. In dem Ort gibt es laut Andrea Crisanti, Professor für Mikrobiologie in Padua, keine Erkrankungen mehr. Für größere Orte, wo der Erreger bereits verbreitet sei, eigne sich dieser Ansatz nicht, die notwendigen Ressourcen fehlten. Und: Auch nach negativem Test können Patienten erkranken, wenn das Virus zirkuliert. (Andras Szigetvari, Klaus Taschwer, Karin Pollack, 21.3.2020)