Die Europäische Union und Österreich – ein Verhältnis, das Manfred Scheich wesentlich mitgestaltet hat.

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Wien – Der erste Botschafter Österreichs bei der Europäischen Union, Manfred Scheich, ist tot. Wie am Freitag bekannt wurde, ist er bereits am 6. März 86-jährig in Wien gestorben. Scheich habe als Chefverhandler "wesentlich" zu Österreichs EU-Beitritt beigetragen, betonte Alexander Schallenberg (ÖVP) gegenüber der APA. Ex-EU-Kommissar Franz Fischler bezeichnete ihn gar als "Hebamme" des EU-Beitritts.

Scheich sei allseits hochgeachtet und geschätzt gewesen und habe "den Beruf des Diplomaten mit außerordentlicher Passion ausgeübt", betonte Schallenberg. "Dabei hat er sich als Europäer verstanden und sich stets für die Stärkung des europäischen Gedankens eingesetzt." In Erinnerung bleiben werde "insbesondere sein Engagement im Rahmen der Beitrittsverhandlungen Österreichs mit der Europäischen Union".

Vorzeigediplomat

Fischler bezeichnete Scheich in einem Nachruf als "österreichischen Vorzeigediplomaten". "Alois Mock wurde stets 'Monsieur d'Europe' genannt, Manfred Scheich könnte man etwas salopp als 'die Hebamme' für den österreichischen EU-Beitritt bezeichnen", schrieb der erste österreichische EU-Kommissar in Anspielung auf die schwierigen und langwierigen Beitrittsgespräche.

Manfred Scheich sprach 2016 über die Krise der Europäischen Union.
Institut für Geschichte Universität Hildesheim

Glühender Europäer

"Mit Manfred Scheich verlieren wir einen großen Diplomaten und Europäer", zeigte sich Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) von Scheichs Ableben betroffen.

"Ich habe Manfred Scheich als glühenden Europäer kennengelernt, der sich leidenschaftlich in den Beitrittsverhandlungen für eine Aufnahme Österreichs eingesetzt hat", so Schüssel in einer Aussendung über den Chefverhandler in den EG-Beitrittsverhandlungen. "In meiner Zeit als Wirtschafts- bzw. später als Außenminister leitete er zudem die Ständige Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union. Dort hat er maßgeblich die Aufgabe der Informationsvermittlung zwischen Österreich und der Europäischen Union und die Mitwirkung im Sinne Österreichs an der europäischen Politik geprägt – auch während des sehr arbeitsintensiven österreichischen EU-Ratsvorsitzes im zweiten Halbjahr 1998."

"Mit Manfred Scheich verliert Österreich einen großen Diplomaten und einen Verfechter der europäischen Idee", zeigte sich auch der außen- und europapolitische Sprecher der ÖVP, Reinhold Lopatka, betroffen vom Ableben des Spitzendiplomaten.

Macht traurig! Denke an Botschafter Scheich als gutes Beispiel für die vielen feinen und vorbildlichen Beamten unseres Landes, denen wir ein funktionierendes Gemeinwesen verdanken", twitterte der Ex-Vizepräsident der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), Max Kothbauer.

Chefverhandler bei Beitrittsgesprächen

Im April 1933 im schlesischen Troppau geboren, kam Scheich als Zwölfjähriger während der Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg nach Wien. Dort studierte er Welthandel und begann seine berufliche Laufbahn im Bundeskanzleramt. Nach einem Studium an der Johns-Hopkins-Universität in Bologna schlug er eine diplomatische Laufbahn ein.

Scheich arbeitete in den 1960er-Jahren bei der österreichischen OECD-Vertretung Österreichs in Paris, war Vizechef der österreichischen Efta-Delegation in Genf und Anfang der 1970er-Jahre Botschaftsrat in Brüssel. Von 1978 bis 1983 leitete er die Sektion für europäische Integration im Außenministerium und war danach bis 1986 der österreichische Botschafter bei den Europäischen Gemeinschaften in Brüssel. Bis 1992 war er dann Sektionschef für Integrations- und Wirtschaftspolitik im Außenministerium. Dabei hatte er als Chef einer interministeriellen Kommission auch die heikle Aufgabe, die Vereinbarkeit der EU-Mitgliedschaft mit der Neutralität zu prüfen. Das positive Votum der "Scheich-Kommission" führte laut Fischler dazu, dass Österreich im Jahr 1989 den Beitrittsantrag in Brüssel stellte.

Scheich war danach Chefverhandler in den Beitrittsgesprächen der Jahre 1993 und 1994 und zählte im Juni 1994 auch zu den vier Unterzeichnern des österreichischen Beitrittsvertrags auf der griechischen Insel Korfu – neben Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ), Außenminister Alois Mock (ÖVP) und dem Spitzenbeamten Ulrich Stacher. Von 1995 bis 1999 war Scheich erster Leiter der Ständigen Vertretung Österreichs in Brüssel. In dieser Funktion war er laut Fischler auch intensiv am Zustandekommen des Amsterdam-Vertrags, der Durchführung der ersten österreichischen EU-Ratspräsidentschaft 1998 sowie der Agenda 2000 (Reform des EU-Budgets) beteiligt. Das Magazin "Politico" bezeichnete ihn damals als "Österreichs graue Eminenz" in Brüssel.

Pension in der Provence

Nach seiner Pensionierung lebte Scheich mit seiner Frau Catherina in der französischen Provence, war aber immer wieder als Vortragender in Wien. Europa blieb er immer eng verbunden. So empfahl er Österreich anlässlich der EU-Ratspräsidentschaft im Jahr 2006, es solle "die Nase nicht zu hoch stecken" und sich in den Dienst des Ganzen stellen. Die Präsidentschaft habe vor allem die Aufgabe, "unter einer gewissen nationalen Selbstaufgabe" einen Kompromiss unter den anderen Mitgliedsstaaten zu erreichen, sagte er damals in einem APA-Interview. "Das Ziel ist, andere auf einen Nenner zu bringen, ohne dass man Selbstmord begeht", so Scheich. (APA, 20.3.2020)