Peter Mennel hat die Hoffnung auf Tokio 2020 noch nicht aufgegeben.

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Die Coronavirus-Pandemie, die in Asien vor gut drei Monaten ihren Ursprung nahm, dort längst nicht überwunden ist, hat Europa erreicht und steuert dort erst in den nächsten Wochen, wenn nicht Monaten auf den Höhepunkt zu. Südamerika, Afrika und auch die USA stehen erst ganz am Anfang der Bedrohung.

Mittlerweile werfen dem IOC, das nach wie vor von Olympischen Sommerspielen zum geplanten Termin (ab 24. Juli) in Tokio ausgeht, auch immer mehr Sportlerinnen und Sportler Realitätsverweigerung vor. Etliche fühlen sich sogar unter Druck gesetzt, die staatlichen Vorschriften zum Umgang mit der Krise zu umgehen, weil sie sich laut IOC vorbereiten sollen, "so gut sie es können". ÖOC-Generalsekretär Peter Mennel sieht noch Chancen auf faire und sichere Spiele und fände es "verantwortungslos, über Lösungsansätze nicht nachzudenken".

STANDARD: Sie haben kürzlich an einer Telefonkonferenz mit IOC-Präsident Thomas Bach teilgenommen. Wie begründet er, wie begründen Sie das Festhalten am Plan, die Olympischen Sommerspiele in Tokio auszurichten?

Mennel: Eines vorweg: Ob Sportveranstaltungen durchgeführt werden können oder nicht, das kann, darf derzeit nicht unsere größte Sorge sein. Es geht um die Eindämmung der Covid-19-Infektionen, es geht um die Gesundheit unserer Bevölkerung. Wenn man trotzdem über Sport diskutiert: Noch sind es vier Monate bis zu den Olympischen Spielen. Das IOC hat Anfang Februar eine Taskforce installiert – in Zusammenarbeit mit der WHO, dem japanischen Organisationskomitee und der japanischen Regierung. Seither wird die Situation täglich evaluiert, mit der obersten Prämisse, dass die Gesundheit aller Beteiligten im Vordergrund steht. Sowohl IOC als auch WHO sehen für eine endgültige Entscheidung noch keinen Handlungsbedarf, sie benötigen mehr Klarheit.

STANDARD: Gibt es spezielle Schritte, die das ÖOC für heimische Olympiakandidatinnen und -kandidaten gesetzt hat?

Mennel: Wir als ÖOC stehen mit Behörden, Verbänden und den Athletinnen und Athleten im ständigen Austausch. Wir versuchen zu helfen, wo es geht. Nur ein Beispiel: Wir stellen über unseren Partner, das Österreichische Bundesnetzwerk Sportpsychologie (ÖBS), bei Bedarf sportpsychologische Betreuung zur Verfügung.

STANDARD: Bis vor kurzem ist IOC-Präsident Bach keinen Millimeter von seiner Überzeugung abgerückt, dass die Spiele wie geplant stattfinden. Ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass Bach sich irrt?

Mennel: Wer traut sich heute zu sagen, was morgen oder nächste Woche passiert, geschweige denn Ende Juli? Das IOC hat in dieser Woche mit mehr als 200 Athleten-VertreterInnen eine Telekonferenz abgehalten, um über die Situation zu informieren. Klar ist: Spiele können nur stattfinden, wenn 11.300 Aktive, 10.000 Coaches, 15.000 Medienvertreter und 110.000 Volunteers Covid-19-frei sind. Gleichzeitig braucht es aber auch das Verständnis der Athleten für das IOC und die Organisatoren. Sie brauchen Zeit, um bestmögliche Lösungen für die Gesundheit aller TeilnehmerInnen zu finden. Es wäre verantwortungslos, über Lösungsansätze nicht nachzudenken.

STANDARD: Ist das IOC tatsächlich so überzeugt davon, dass sich die Spiele ausgehen werden? Spielen versicherungstechnische Überlegungen mit? Oder, das wäre ja nicht unromantisch, will man vielleicht sogar der geplagten Menschheit einen Strohhalm geben? Ein bisschen Hoffnung darauf, dass sich das Leben beizeiten normalisiert?

Mennel: Da sind sich das IOC, die japanischen Veranstalter und die Nationalen Olympischen Komitees einig: Mit einer vorzeitigen Olympia-Absage zum jetzigen Zeitpunkt ist niemandem geholfen, schon gar nicht den Athleten, die sich seit vielen Jahren auf diesen Tag X vorbereiten.

STANDARD: Wie wichtig wäre es für den Sport und die Welt ganz generell, dass die Spiele wie geplant stattfinden?

Mennel: Das würde heißen, wir hätten das Coronavirus (vorläufig) besiegt. Und es würde wieder Alltag einkehren, auch der sportliche. Aktuell geht es in erster Linie um Antworten, wie man die Spiele fair, sicher durchführen kann.

STANDARD: Was würde eine Verschiebung für Japan bedeuten?

Mennel: In jedem Fall wäre es eine Enttäuschung für Tausende OK-MitarbeiterInnen, für 110.000 freiwillige HelferInnen. Welche Mehrkosten entstehen würden, lässt sich derzeit nicht seriös beurteilen. Aber es gab auch im vergangenen Jahrhundert schon Verschiebungen, Absagen von Sommerspielen. Tokio war 1940 schon einmal betroffen.

STANDARD: Das IOC rät Athletinnen und Athleten, ihre Vorbereitung fortzusetzen und durchzuziehen, "so gut sie es können". Setzt es mit diesem Rat nicht Sportlerinnen und Sportler, die ja auch am besten daheim bleiben sollen, einem Risiko aus?

Mennel: Wir stehen mit dem Sportministerium, den Verbänden und unserer Athletenkommission im ständigen Austausch, versuchen zu helfen, wenn es um Trainingsgeräte und -möglichkeiten geht. Aber man sollte auch die Gesamtsituation im Blick haben: Wir sind in Österreich in der zweiten Woche mit Ausnahmeregelungen. Wie für alle ÖsterreicherInnen gilt: #flattenthecurve #staypositive.

STANDARD: Die griechische Stabhochsprung-Olympiasiegerin Ekaterini Stefanidi hat erklärt, durch den IOC-Ratschlag fühle sie sich "unter Druck gesetzt, die Vorschriften zu umgehen".

Mennel: Ich kann nur fürs ÖOC sprechen: Wir setzen niemanden unter Druck, fordern niemanden dazu auf, die Vorschriften zu umgehen.

STANDARD: In London wurde am Wochenende noch, sogar vor Publikum, unter IOC-Schirmherrschaft um die Olympia-Qualifikation geboxt. Hätte man dieses Turnier, wie fast alle anderen Sportevents in Europa, nicht von vornherein absagen sollen?

Mennel: Großbritannien hat bekanntermaßen im Umgang mit dem Coronavirus eine andere Strategie verfolgt, ist zuletzt aber auf den kontinental-europäischen Weg eingeschwenkt.

STANDARD: In vielen Ländern gibt es Athletinnen und Athleten, die nicht oder kaum trainieren können, in anderen Ländern wird – entweder schon wieder oder vielleicht auch: noch – ganz normal trainiert. Die olympischen Voraussetzungen wären also in vielen Sportarten völlig unterschiedliche. Entspricht das dem Fairnessgedanken?

Mennel: Es gehört zu unseren vorrangigen Aufgaben, mit allen Stakeholdern, vorrangig mit den Vertretern der Politik, über Möglichkeiten nachzudenken, wie man unseren Top-AthletInnen bestmögliche Trainingsbedingungen unter Einhaltung der notwendigen Schutzmaßnahmen bieten kann.

STANDARD: In vielen Ländern finden derzeit keine Dopingkontrollen statt. Wie groß ist dieses Problem?

Mennel: Auch da ist es zu früh, die Situation im Hinblick auf Olympia beurteilen zu können. Die Wada arbeitet an Lösungsmöglichkeiten. IOC-Medical-Director Richard Budgett hat versichert, dass er den Schutz des sauberen Athleten nicht gefährdet sieht. Das hat er in der Telekonferenz auch den mehr als 200 Athleten-VertreterInnen versichert.

STANDARD: Es wurden und werden unzählige Bewerbe abgesagt, in denen es um die Qualifikation für Tokio gehen sollte. Viele nicht Qualifizierte könnten auch vor Gericht argumentieren, dass sie sich ja noch qualifizieren hätten können. Stünden da nicht große Probleme und Rechtsstreitigkeiten ins Haus?

Mennel: Diese Fragen will das IOC mit den Internationalen Fachverbänden bis Anfang April diskutieren und Alternativlösungen finden. 57 Prozent der Quotenplätze für Tokio sind bereits vergeben. Das bleibt in jedem Fall aufrecht. Jetzt geht’s um die restlichen 43 Prozent. Wenn möglich, sollen Qualifikationswettkämpfe stattfinden, wenn allen Athleten, Teams ein fairer Zugang gewährt werden kann. Die Situation in Österreich sieht so aus: Wir haben 37 Quotenplätze fix, rechnen letztlich mit rund 70 Olympia-StarterInnen.

STANDARD: Sollte und könnte das IOC die Teilnehmerfelder aufstocken?

Mennel: Auch das wird vom IOC bzw. von den Fachverbänden überlegt, wird aber sicher nicht im großen Stil möglich sein.

STANDARD: Aus heutiger Sicht: wie hoch beziffern Sie die Wahrscheinlichkeit, dass die Spiele wie geplant stattfinden?

Mennel: Wir sollten uns auf Fakten beschränken. (Fritz Neumann, 20.3.2020)