Berlin/Athen – Es gelte, vielleicht tausende Corona-Infektionen sowie Todesfälle unter Flüchtlingen zu verhindern – und gleichzeitig ein großes Risiko für die Gesundheit von Europäern abzuwenden, sagt der Mitinitiator des EU-Türkei-Deals, Gerald Knaus, im STANDARD-Gespräch.

Sollte sich nämlich, was nicht unwahrscheinlich erscheint, in den mit rund 40.000 Menschen vollkommen überfüllten Lagern auf den griechischen Inseln das Coronavirus verbreiten, wären Massenansteckung und Panik die Folge – auch unter der ansässigen Bevölkerung.

Keine Möglichkeit, Hände zu waschen

"Im Lager Moria müssen sich 1.300 Flüchtlinge einen Wasserhahn teilen, die meisten können sich nicht einmal regelmäßig ihre Hände waschen. Viele leben in behelfsmäßigen Zelten und haben keine Chance, sich voneinander zu isolieren, um eine Infektion zu vermeiden", schildert Knaus.

"Im Lager Moria müssen sich 1.300 Flüchtlinge einen Wasserhahn teilen, die meisten können sich nicht einmal regelmäßig ihre Hände waschen", sagt Gerald Knaus.
Foto: APA/AFP/MANOLIS LAGOUTARIS

Dieser Tage steht der österreichische Migrationsexperte mit gleich mehreren Staatskanzleien und großen NGOs in Kontakt – auf eigene Initiative hin und mit der Absicht, eine humanitäre Rettungsaktion zu starten. "Wir müssen die Insellager großteils räumen und die Menschen aufs griechische Festland transferieren – und zwar rasch, bevor es in den Lagern zu Coronavirus-Infektionen kommt", sagt er.

"Heroische Geschichte" oder Katastrophe

In einem neuen Paper wählt Knaus pathetische Worte: "In einem solchen Moment wird heroische Geschichte geschrieben. Oder ereignen sich Katastrophen", schreibt er. Seine Vorschläge hingegen sind konkret: Griechenland soll die anderen EU-Staaten um Aufnahme von rund 10.000 im Land bereits anerkannten ausreisewilligen Flüchtlingen ersuchen. Deren rechtlicher Status sei klar, was das Risiko bürokratischer Hürden verringere.

Dies sei schneller zu machen als die bereits von Deutschland angekündigte Aufnahme unbegleiteter Minderjähriger. Organisatorisch wäre das mithilfe der Internationalen Organisation für Migration (IOM) möglich, auch Gesundheitstests. Immerhin holen verschiedene EU-Staaten derzeit Zehntausende ihrer Bürger aus der ganzen Welt binnen weniger Tage heim.

"EU-Türkei-Erklärung 2.0"

In die frei werdenden griechischen Festlandunterkünfte – mit EU-Geldern gemietete Wohnungen und Hotels, in denen Social Distancing möglich sei – sollten asylsuchende Familien von den Inseln ziehen. Für weitere 25.000 Lagerbewohner könne IOM binnen zehn Tagen sichere Zeltcamps errichten oder sie in leeren Hotels unterbringen – und binnen mehrerer Monate in neuen, festen Unterkünften.

"Wir müssen die Insellager großteils räumen und die Menschen aufs griechische Festland transferieren", fordert Knaus.
Foto: Heribert Corn

Dazu brauche es Bemühungen um eine "EU-Türkei-Erklärung 2.0" – nicht zuletzt, um die Zahl der auf den Inseln Ankommenden zu reduzieren und Flüchtlingen in der Türkei weiterzuhelfen.

Krisper gegen Österreichs Nein

Große Unterstützung für Knaus' Pläne kommt von der Neos-Abgeordneten Stefanie Krisper. Das dezidierte Nein der Bundesregierung zu Flüchtlingsaufnahmen will sie nicht gelten lassen: 100 bis 200 anerkannte Flüchtlinge, insbesondere Familien, seien in einem "Airlift of Emergency" nach Österreich zu bringen.

Es gebe genug leere Quartiere für Quarantäne und hilfsbereite Gemeinden. Verzichten viele EU-Staaten auf eine Beteiligung und belasse die Menschen auf den Inseln, dann "wird es erstmals tödliche Lager auf europäischem Boden geben". (Irene Brickner, 22.3.2020)