Die Menschen werden sich nach der Corona-Krise, ähnlich wie nach der Wirtschaftskrise 2008, nicht großartig anders verhalten oder gar eine gesellschaftliche signifikante Weiterentwicklung in Gang setzen, vermutet der "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak im "Talk im Hangar-7" auf dem Privatsender Servus TV. Mit seiner Einschätzung der Lage nach der Ausnahmesituation hat er nicht ganz unrecht. Doch auch in der Phase im Zentrum des pandemischen Orkans werden sich früher oder später nicht nur die besten menschlichen (Persönlichkeits-) Eigenschaften manifestieren. Trotz mantraartigen Pressekonferenzen der Bundesregierung und psychostrategischer Salamitaktik stellen sich viele jetzt schon ihre ganz eigenen Fragen und entwickeln ihre Theorien zur aktuellen Situation. Dies geschieht fernab von offensichtlichen Fake-News in den sozialen Medien, welche die gesamte Psychodynamik noch als Krönung, bitte nicht mit "Corona" als verstecktem verschwörungstheoretischem Code assoziieren, abrunden.

Pressekonferenz mit Innenminister, Bundeskanzler und Gesundheitsminister.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Man kann nicht nicht kommunizieren!

Die sehr nett gemeinten Verhaltenstipps und Ratschläge von Experten und öffentlicher Seite, die gesetzlich verordneten Maßnahmen ausgenommen, haben sicher ihre Berechtigung und in vielen Fällen ihre Richtigkeit, jedoch kommen sie frei nach dem Black-Box-Modell aus der kognitiven Psychologie nicht bei allen Empfängern immer Eins-zu-eins so an, wie es sich der Sender vorstellt. Wie erkannte schon der österreichische Psychotherapeut Paul Watzlawick im ersten Axiom seiner Kommunikationstheorie: "Man kann nicht nicht kommunizieren". Daher existiert zwischen Sender und Empfänger nicht nur ein reines Reiz-Reaktions-Muster wie im Behaviorismus angenommen, sondern wir wissen spätestens seit der kognitiven Wende, dass eine Ebene der Informationsverarbeitung zwischen dem Reiz - sprich der Information der Bundesregierung - und der Reaktion bei den Bürgern geschaltet ist, in der sich je nach Persönlichkeitstyp und -struktur der Menschen vieles bewusst und unbewusst abspielen kann, womit einige Experten nicht rechnen.

Psychologie der Massen

Der Mediziner und Psychologe Gustave Le Bons behandelte im Zusammenhang mit dem Themenkomplex der Massenpsychologie unter anderem menschliches Handeln im Zustand der Ruhe und Besonnenheit und im Zustand der kollektiven Aufregung und Emotionalisierung und bekannte sich zur zentralen Rolle des Unbewussten, das oft in seiner Wirkkraft der rationalen Vernunft weit überlegen sei. Le Bons' These lautet, dass menschliches Verhalten in Extremsituationen in hohem Maße von unbewussten Impulsen beherrscht werden kann. In dieser Situation ist der Einzelne leichtgläubiger und unterliegt der psychischen Ansteckung. Allerdings stellt er fest, dass die Massen im Guten wie im Bösen zu allem fähig seien.

In Österreich wird sich in den nächsten Tagen und Wochen weisen, wo die Grenzen der Massensuggestibilität im Positiven wie im Negativen liegen. Denn trotz aller konstruktiven Interventionen von Seiten der Bundesregierung, flankiert durch die Unterstützung und verantwortungsvolle Berichterstattung durch Qualitätsmedien, kommen nicht nur vorteilhafte Facetten von uns an die Oberfläche. Wir werden genauso stark durch unser "Es" und damit assoziierte negative Triebmotive wie Missgunst, Neid und Hass gesteuert - spätestens dann, wenn es um die Verteilung von finanziellen und anderen Ressourcen geht. Das Spiel mit der Angst ist von der Wahrnehmung des empirisch evidenten Anstieg der Arbeitslosigkeit bis hin zum Zweifel an der einfachen Zugänglichkeit und fairen Verteilung von Förderungen keine gute Idee. Setzen derartige Gedankenimpulse ein, dann helfen noch so gut akkordierte Medienauftritte nämlich dann nicht mehr, wenn sich der Wind in der emotionalen Perzeption der Menschen dreht. (Daniel Witzeling, 25.3.2020)

Weitere Beiträge des Bloggers