Im Gastkommentar erläutert Yale-Professorin Pinelopi Koujianou Goldberg, warum wir Tech-Bashing hintanstellen sollten.

Der Kampf gegen das Coronavirus wäre mittlerweile verloren, stünde uns nicht die Technologie – speziell die Mathematik – zur Verfügung. Das Verständnis eines so grundlegenden Konzepts wie des "exponentiellen Wachstums" ist entscheidend für die entschlossene Bekämpfung dieses Feindes.

Die erfolgreiche Eindämmung der Epidemie in China, Südkorea und Japan wird starken Staaten zugeschrieben. Doch diese Länder zeichnen sich auch durch die hohe Mathematikkompetenz ihrer Schülerinnen und Schüler aus. In der Pisa-Rangliste des Jahres 2019 belegt China mit 591 von 600 Punkten in Mathematik den ersten Platz, Japan den sechsten und Südkorea den siebten. Zum Vergleich: Italien (31.), Spanien (34.) und die Vereinigten Staaten (37.). Dies ist eine Mahnung, eine bessere Ausbildung in den Bereichen Mathematik und Logik anzustreben. Hier geht es letztlich nicht darum, lukrative Jobs zu ergattern, sondern bessere Lebensentscheidungen treffen zu können.

Technologie als Lebensretter

Die Technologie ist die wahre Heldin im Kampf gegen die Ausbreitung von Covid-19. Die neuen datengesteuerten Technologien ermöglichen es verantwortlichen Regierungen, die Bewegungen der Infizierten nachzuverfolgen, sie zu kontaktieren und frühzeitig unter Quarantäne zu stellen. Diese Technologien waren in den letzten Jahren vielfach Zielscheibe massiver Kritik. Wenn sie uns nun dabei helfen, Leben zu retten, verdienen sie unser Lob.

Südkoreas Leistung ist wirklich beeindruckend. Am 17. März verzeichnete das Land trotz eines schlechten Starts bei den Bekämpfungsmaßnahmen 8320 Krankheitsfälle und 81 Todesopfer. Anders Italien, das an diesem Tag 27.980 Corona-Fälle und 2158 Tote berichtete.

Südkorea war eines der ersten Länder, die von Massenansteckungen durch das Coronavirus betroffen waren. Mittlerweile hält der Abwärtstrend seit dem Höhepunkt mit 909 Neuinfektionen am 29. Februar an.
Foto: APA/AFP/ED JONES

Positive Folgen

Der Beitrag der Technologie zum Pandemie-Management geht über Nachverfolgung und Quarantäne hinaus. Nun, da sich die USA und Länder in Europa einem nahezu vollständigen Stillstand mit potenziell verheerenden Folgen für die Weltwirtschaft nähern, bietet die Technologie einen Hoffnungsschimmer. Viele Firmen, insbesondere im Technologiebereich, haben ihre Büros geschlossen, Telearbeit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeordnet und Computer- und Videotechnik zur Verfügung gestellt. Damit hält man nicht nur einen wichtigen Teil der Wirtschaft aufrecht, sondern ermöglicht unbeabsichtigt auch positive Folgen. So sind etwa die Staus verschwunden. Die Stunden, die Pendlerinnen und Pendler zuvor auf der Straße verbrachten, können nun der Arbeit und der Familie gewidmet werden. Geschäftsreisen finden nicht mehr statt, und Videokonferenzen werden zur Norm – das verringert die Luftverschmutzung durch Flugzeugverkehr und spart ebenfalls viel Zeit.

Ebenso bemühen sich Pädagoginnen und Pädagogen, Online-Alternativen zum Unterricht im Klassenzimmer zu finden. Während Schulschließungen früher zu einem Verlust von Unterrichtszeit geführt hätten, ermöglicht die Technologie den Schülerinnen und Schülern, weiter zu lernen.

Kostengünstige Bildungslösungen

Freilich bestehen Herausforderungen bei der Online-Anpassung eines Lehrplans, der für den persönlichen Unterricht bestimmt war. Da jedoch mittlerweile ganze Fakultäten damit experimentieren, werden wir mit Sicherheit Innovationen und eine rasche Verbesserung der Effektivität des Fernunterrichts feststellen. Sobald Schülerinnen, Schüler und Studierende wieder an Schulen und Universitäten zurückkehren, sollten wir diese Innovationen auch in den Entwicklungsländern nutzen, die händeringend nach kostengünstigen Bildungslösungen suchen.

Im Einzelhandel können digitale Plattformen in die Bresche springen, wenn sich die Regale im Supermarkt leeren oder Selbstquarantäne den persönlichen Einkauf unmöglich macht. Film- und Musik-Streaming, Videochats und Social Media bieten Möglichkeiten, sich weniger isoliert zu fühlen, mit Menschen in Verbindung zu bleiben und während der Zeit des Stillstandes die psychische Gesundheit zu erhalten.

Konflikt mit Datenschutz

Auf diese und andere Arten beschleunigt die Pandemie bestehende technologische Trends und zeigt wichtige Vorteile auf, die wir jetzt und nach dem Abflauen der Krise nutzen sollten. Aber wenn wir wieder zur Normalität zurückkehren, werden wir mit heiklen Fragen im Hinblick auf technologische Innovation konfrontiert sein. So fördert die Covid-19-Krise die Spannung zwischen Datenschutz und effektiver Zielausrichtung zutage. Die Technologien, die Informationen für zielgruppengenaue Nachrichten und Werbung liefern, kommen auch zum Einsatz, um Infizierte oder die durch das Coronavirus am stärksten gefährdeten Personen zu ermitteln.

Freilich ist die Spannung zwischen Datenschutz und Gesundheitsoutcomes nicht neu: Der Wunsch nach dem Schutz individueller Krankengeschichten hindert medizinische Forschung und Kliniker, sich zur Verbesserung von Ergebnissen der ganzen Bandbreite der Gesundheitsdaten zu bedienen. Covid-19 erinnert uns, dass wir vielleicht sorgfältig über die relativen Vorteile des Datenaustauschs nachdenken sollten. In manchen Fällen liegt deren Wert höher als die Wahrung der Privatsphäre.

Neue Disruption

Ohne Intervention werden technologische Trends unweigerlich Gewinner und Verlierer hervorbringen. Geschäftslokale, die ohnehin schon Marktanteile an digitale Plattformen verloren haben, werden wohl noch weiter dezimiert, wo Maßnahmen der Selbstquarantäne und verordnete Sperrungen in Kraft sind. Und obwohl vermehrte Telearbeit, weniger Geschäftsreisen und Fernunterricht bei einigen die Produktivität steigern lässt, werden die Lebensgrundlagen anderer dadurch erheblich erschüttert, und diese Entwicklung wird sich in den nächsten Monaten beschleunigen.

Mehr denn je ist es daher unerlässlich, Einzelpersonen, Unternehmen oder von der Krise betroffenen Gemeinden Unterstützung und Anpassungshilfe zu gewähren. Dennoch sollten wir dem Drang widerstehen, unser unablässiges, modernes Tech-Bashing wiederaufzunehmen. Wenn die aktuelle Krise ein Gutes hat, dann ist es die Einsicht, dass Wissen – in diesem Fall hauptsächlich in Mathematik, den Naturwissenschaften und Technologie – unsere beste Waffe gegen diese Krise ist. (Pinelopi Koujianou Goldberg, Übersetzung: Helga Klinger-Groier, Copyright: Project Syndicate, 24.3.2020)