Zum Schluss löst sich Voldemort, vorerst besiegt, in Rauch auf. Als instabiles Gebilde fährt er aus dem Raum. Noch kräftig genug, um den Helden Harry Potter niederzustoßen. Ohnmächtig bricht dieser zusammen. Zurück bleibt das vage Gefühl, dass der Feind noch lange nicht besiegt ist.

Ohnmacht, das ist auch das Gefühl, das ich jetzt bei vielen im Bekanntenkreis orte. Zwischen Heimkinoabenden mit den Kindern, ausgelassenen Balkon-Auftritten um 18 Uhr und Funvideos bleibt dieses Gefühl der latenten Bedrohung. Was wird noch kommen? Wie wird unser System das Ganze verarbeiten und verkraften? Wird die große kapitalistische Maschine, die von permanentem Fortschritt und Aktionismus geprägt ist, dem Stillstand standhalten? Ächzt sie schon?

Der einzige Zaubertrank, der gegen "den Corona" und gegen die eigene Ohnmacht gleichermaßen hilft. Alles wird gut.
Foto: Manuela Honsig-Erlenburg

Dieser Tage telefoniere ich oft mit Freunden und Verwandten. Viele von ihnen leben auf dem Land. Erzählen mir zum Beispiel, dass Nachbarn und Bekannte sich aufmagaziniert haben. Nicht (nur) mit Klopapier und Nudeln, nein, auch mit echter Munition. Na klar, denke ich. Wer Angst hat, dass die Versorgungskette zusammenbricht, überlegt sich schon mal, auf Wildschwein aus dem Wald hinterm Haus auszuweichen. Man weiß ja nie. Die Menschen sind nervös. Auch wenn im Supermarkt weiterhin alles in großer Fülle zu bekommen ist.

Meine Freunde auf dem Land haben übrigens jetzt neue Supermarkt-Kumpels. Von seiner "Supermarkt-Bande" erzählt einer. Zuerst zufällig, mittlerweile absichtlich, treffen sich in der Früh einige jüngere Leute beim Billa in der Bezirkshauptstadt, um für Eltern und alte Nachbarn einkaufen zu gehen. Es wird geplaudert – mit Abstand natürlich – und auch ein bisschen geflirtet. Liebe in Zeiten von Corona eben.

Ostereier im Innenhof

Schön, finde ich und muss an den Billa bei mir denken, wo sich gestern junge Burschen feixend ganz vorne in die Reihe gedrängt haben: "Da ist ja heute so viel Platz!!" Manche kapieren es nicht. Kurz habe ich überlegt, ihnen ein Osterei nachzuschießen. Aber ich will ja hier keinen Krieg anfangen.

Stattdessen werde ich die Eier demnächst dem Osterhasen zukommen lassen. Zum Verstecken im Wiener Innenhof. Diesmal nicht bei den Großeltern im Garten. Magische Traditionen müssen trotzdem aufrechterhalten werden. Denn Magie hilft gegen Ohnmacht.

Die Kinder zum Beispiel brauen derweil in der Küche Zaubertränke. Nach Rezepten aus Harry Potter. "Die helfen gegen den Corona", sagt der Fünfjährige. Ich koste. Wir werden den nebulösen Feind schon besiegen. (Manuela Honsig-Erlenburg, 24.03.2020)