Kaum ist es da, ist es schon wieder weg: Toilettenpapier lässt in Zeiten der Coronakrise vielerorts die Nerven flattern.

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Frage: Geht uns das Klopapier aus?

Antwort: Nein. Die Industrie produziert quer durch Europa an sieben Tagen die Woche rund um die Uhr. Eine einzige Anlage druckt davon in Rekordzeit 2000 Meter pro Minute. Die Lieferketten sind aber nicht darauf ausgelegt, dass Konsumenten innerhalb weniger Tage Vorräte für Wochen und Monate anlegen. Große Sorge der Hersteller ist die Versorgung mit sortenreinem Altpapier aus dem Gewerbe. Steht die Wirtschaft still, droht diese Quelle zu versiegen, warnen Papierindustrielle. Folge ist ein preistreibender Wettlauf um Rohstoff.

Frage: Wie viel davon braucht der Österreicher eigentlich?

Antwort: Zehn Kilo wiegt sein Bedarf im Schnitt im Jahr. Die Deutschen bringen es auf 16 Kilo. Als Faustregel gilt: Eine Rolle pro Person in der Woche sollte reichen. Wobei nur 90 Prozent der Privathaushalte Toilettenpapier kaufen. Was der Rest verwendet, entzieht sich der statistischen Beobachtung.

2000 Meter des hauchdünnen Papiers schafft eine Produktionsanlage innerhalb einer Minute. Die Maschinen laufen europaweit derzeit rund um die Uhr.
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Frage: Die weißen Rolle wurden zum Symbol für Hamsterkäufe. Sie schützen weder vor Covid-19, noch greift der Virus den Magen an. Was also befeuert den Kampf ums Klopapier?

Antwort: Wer hamstert, will über sein Leben Kontrolle erlangen, die einem in Krisen entgleitet. Je geringer das Vertrauen ins System ist, desto mehr wird gehortet, sagen Konsumforscher. Mit Säcken an Klopapier lasse sich vermeintliche Kontrolle schnell und günstig erkaufen. Das Risiko, darauf sitzenzubleiben, ist jedenfalls gering. Lebenslang haltbar, braucht es nur Platz zum Stapeln.

Frage: Wurzelt das Bedürfnis nach Toilettenpapier nicht tiefer?

Antwort: Psychologen sehen die flauschigen Rollen als Symbol für Sicherheit und als probates Mittel gegen Ekel, eine Urangst des Menschen. Quarantäne bedeutet Abschottung. Das stille Örtchen ist als ruhiger Hafen in wilden Zeiten geradezu Sinnbild für Weltflucht, sinnieren Philosophen. Nicht zuletzt ist der Mensch ein Herdentier und ahmt Verhalten lieber nach, als es kritisch zu hinterfragen, meinen Hirnforscher. Dass Hygiene neben Essen und einem Dach über dem Kopf ein Grundbedürfnis ist, sagt der Hausverstand.

Frage: Beim Griss ums Klopapier ist Schluss mit lustig?

Antwort: Das Gerangel darum ließ in Supermärkten nicht nur in Österreich die Exekutive einschreiten. In Hongkong kam es seinetwegen jüngst zu einem bewaffneten Raubüberfall, wobei die Polizei die gestohlenen Rollen zum Glück rasch sicherstellte. Der Handel reagiert aufs Hamstern kreativ bis rigoros: In Deutschland verlangt ein Rewe-Händler ab der zweiten Packung einen Aufpreis, den er spendet. Britische Glücksspielbetreiber ließen Zocker in Spielautomaten statt Stofftieren nach Klopapier angeln. Und in Peking geben öffentliche Hightech-Papierspender nur 60 Zentimeter alle neun Minuten aus – nachdem zuvor das Gesicht des Toilettenbesuchers gescannt wurde. Online-Plattformen wie Willhaben signalisieren, keinen Spaß mehr zu verstehen, wenn Scherzbolde auf ihren Marktplätzen eine Rolle zum Preis eines Jaguars offerieren.

Der stille Ort als Sinnbild für Weltflucht.

Frage: Ist der Kampf um sie ein völkerverbindendes Phänomen?

Antwort: Er hat auf jeden Fall Tradition. Japan etwa verfiel während der Ölkrise 1973 in eine regelrechte Toilettenpapier-Panik. In Großbritannien beschäftigte die Angst vor Engpässen vor wenigen Wochen gar das Parlament in London. Ein deutscher Fabrikant schickte zuvor vorsorglich werbewirksam eine große Ladung davon an den Buckingham Palace – als Hilfslieferung nach dem Brexit für die von Importen abhängigen Briten.

Frage: Was ist uns zwei- bis fünflagiges Papier denn wert?

Antwort: Die Österreicher geben jährlich durchschnittlich 30 Euro dafür aus. Der Gesamtmarkt wird hierzulande mit rund 250 Millionen Euro beziffert. Konsumentenschützer zählten und vermaßen jedes einzelne Blatt. Ihre Erkenntnis: Die Blätter je Rolle wurden in den vergangenen 25 Jahren nicht nur weniger, sondern auch deutlich kleiner. Statt bis zu 250 Abrissen pro Rolle liegt deren Obergrenze nun bei 200. Einzelne Marken beschnitten die Fläche nur um einen Millimeter, andere gar um ein Zehntel, errechnete der Verein für Konsumenteninformation.

Frage: Ein kurzer historischer Abriss?

Antwort: Im frühen 14. Jahrhundert ließ der chinesische Kaiser erstmals Hygienepapier in großem Stil produzieren, belegen historische Protokolle. In Deutschland lief die industrielle Fertigung erst 1928 an. Der Unternehmer Hans Klenk rollte tausend Blatt Krepp auf eine Rolle und nannte sie Hakle, damit keiner mehr das unliebsame Wort Toilettenpapier in den Mund nehmen musste.

Frage: Was diente zuvor der Hygiene?

Antwort: Wasser, Gräser, Blätter, Fell, Heu, Stroh, Wolle, flache Steine, Kokosnussrinde, Schnee, Seide – und Zeitungspapier. Eine australische Lokalzeitung erschien jüngst mit acht leeren Extra-Seiten zum Zurechtschneiden. Der Griff zur Journaille ist dennoch nicht ratsam. Diese verstopft als Papierklumpen die Abwasserkanäle. Ein Problem, mit dem gerade die Briten hadern.

Frage: Was steckt in Toilettenpapier?

Antwort: Zellstoff, der aus frischen Holzfasern oder Recyclingfasern produziert wird. Als Rohstoff halten in Europa Fichten her, teils auch Kiefern, die überwiegend in Skandinavien wachsen. Industrielle in China üben sich darin, Papier aus faserreichen Fäkalien und Essensresten der Pandabären herzustellen. Der hohe Bambusanteil ihrer Ernährung sorgt für zehn Kilo Ausscheidungen täglich pro Tier. In Österreich fehlt es für diese klimafreundliche Alternative jedoch an Pandabären.

Der Mensch ist ein Herdentier und ahmt Verhalten lieber nach als es kritisch zu hinterfragen.
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Frage: Wer macht mit den Rollen das große Geschäft?

Antwort: Platzhirsch in Europa ist Essity. Der globale Konzern mit Marken wie Cosy, Zewa, Tempo, Plenty und Danke hat in Deutschland acht Fabriken. In Österreich sorgen in Ortmann in Niederösterreich 610 Mitarbeiter für mehrere Millionen Rollen täglich. 6000 Paletten werden an sieben Tagen die Woche an den Handel geliefert. Rohstoffe sind für die nächsten Monate gesichert, betont der Konzern. Nummer zwei in Europa ist die italienische Sofidel, Nummer drei das deutsche Familienunternehmen Wepe, das Handelsmarken fertigt. In Lagern des Handels rauben die voluminösen Rollen Platz. Frächter machen mit ihnen schmale Profite, Transporte über weite Strecken lohnen sich nicht.

Frage: Ist Österreich Selbstversorger?

Antwort: Theoretisch ja, praktisch nein. Klopapier ist ein international gehandeltes Gut, das auch Österreich importiert wie exportiert.

Frage: Wie viel Hightech steckt im hauchdünnen Papier?

Antwort: Mit 30 bis 40 Gramm pro Quadratmeter ist es das Leichtgewicht unter den Papieren. Nassfest muss es im Gebrauch sei und schnellauflösend im Abgang. Wie schnell, das ist gesetzlich geregelt. Luft nach oben gibt es bei der Optimierung der Fasern, bei der Erhöhung des Trockengrades und der Energieeffizienz in der Fertigung. Mit Know-how rund um die Rolle machen sich auch Österreicher verdient: Der Anlagenbauer Andritz betreibt in Graz das seinen Angaben zufolge modernste Forschungszentrum für Hygienepapier, mitfinanziert von der Forschungsförderungsgesellschaft. (Verena Kainrath, 25.3.2020)