Seit zwölf Millionen Jahren bilden Clownfische und Seeanemonen eine bemerkenswerte Symbiose: Die Fische profitieren von den Nesseltieren und umgekehrt.

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Mama ist wachsam. Wie ein kleines kampfbereites U-Boot schwebt sie im Wasser. Unten kümmert sich ihr Partner derweil um den Nachwuchs. Fürsorglich fächert er den rund 300 Eiern mit seinen Flossen Frischwasser zu und schnappt angeschwemmte Schmutzpartikel vom Gelege. Eine perfekte Arbeitsteilung, seit vielen Jahrtausenden bewährt.

Weibliche Clownfische sind immer größer als die Männchen, erklärt Vincent Laudet. Ihnen obliege deshalb der Schutz des Nests. "Und sie können sehr mutig sein." Sogar Taucher werden aggressiv gestellt, wie Laudet aus eigener Erfahrung weiß. Man nähert sich der Fischheimstatt, und plötzlich schießt eine bunt gestreifte, gut zehn Zentimeter lange Furie hervor, die einem fast gegen die Maske knallt.

Animationsstar aus dem indopazifischen Raum

Diesmal ist allerdings keine Attacke zu erwarten. Die Tiere leben in einem Aquarium, im Dienst der Wissenschaft. Vincent Laudet, Forscher am Observatoire Océanologique im südfranzösischen Banyuls-sur-Mer (OOB), befasst sich bereits seit Jahren mit den faszinierenden Riffbewohnern. 28 verschiedene Arten zählt die Gattung Amphiprion, die allesamt im indopazifischen Raum vorkommen.

Am berühmtesten ist natürlich Amphiprion ocellaris, Star aus dem Animationsfilm "Findet Nemo". Unter Fachleuten sind Clownfische als Studienobjekte beliebt. Ihre komplexe Lebensweise bietet Einblicke in unterschiedliche Aspekte der Evolution, der Fortpflanzung und der Symbiosen und in das Sozialverhalten von Fischen.

In freier Natur sind Clownfische bekanntlich eng mit Seeanemonen verbunden. Letztere bieten ihnen Schutz vor Räubern, die Fische selbst indes brauchen die toxischen Nesselzellen ihrer Wirte nicht zu fürchten. Eine dicke Spezialschleimschicht bewahrt sie vor den Giften. Ihr Gelege setzen sie auf Felsuntergründe direkt neben ihren Wirtanemonen ab.

Aus Vater wird Mutter

Das Sexualleben von Amphiprion könnte dagegen kaum seltsamer anmuten. Die Paarbildung richtet sich nach einem strikten Regelwerk, wie Laudet erläutert, denn Clownfische sind soziale Geschöpfe. Normalerweise tun sich die Tiere in Verbänden von vier bis zwölf Exemplaren zusammen und bewohnen gemeinsam eine Seeanemone.

Es pflanzen sich aber nur die zwei ältesten Gruppenmitglieder fort, das dominante Elternpaar eben. Bei den anderen, Rekruten genannt, handelt es sich stets um kleinere Männchen ohne eigenen Anspruch auf Vermehrung – zumindest vorerst nicht.

Die bereits erwähnte Courage der Muttertiere hat ihren Preis. Ihre Angriffslust mag viele potenzielle Laichräuber in die Flucht schlagen, doch irgendwann kommt jemand vorbei, den dieser Elan nicht beeindruckt.

Der Vater bleibt dann allein mit dem Nachwuchs und der Schar Halbstarker zurück. Seine Reaktion ist, gelinde gesagt, tiefgreifend. Der Tod seiner Partnerin veranlasst das Männchen dazu, sich einer selbstgesteuerten Geschlechtsumwandlung zu unterziehen. Unter Fischen kommt diese Art von Transsexualität gar nicht so selten vor.

Strenge Hierarchie

Nach Papas Verwandlung ist für den Ältesten der anderen Gruppenmitglieder der große Moment gekommen: Er darf endlich vollständig geschlechtsreif werden und die Vaterrolle übernehmen. Schon bald produziert das neue Paar sein erstes gemeinsames Gelege. Für den Rest der Gemeinschaft geht das Zusammenleben wie gehabt weiter. Letzteres ist von einer strengen Hierarchie geprägt, erklärt Laudet.

Die Altersrangordnung und damit die Position in der Vermehrungswarteschlange wird exakt in der Körperlänge gespiegelt. Irgendwann kommt im Reproduktionsreigen jeder an die Reihe. Geduld ist dabei unabdingbar. Es dauert oft mehr als zehn Jahre, berichtet Laudet, bis ein Rekrut die Geschlechtsreife erlangt.

Inzucht brauchen die bunten Riffbewohner kaum zu befürchten. Im Gegensatz zu den meisten anderen sozialen Tierarten bilden Amphiprion keine Familienverbände. Die Larven verschwinden sofort nach dem Schlüpfen ins offene Wasser.

Zwei Wochen später verwandeln sich die durchsichtigen Minis in kleine, gestreifte Clownfische. Das Fischkind muss so schnell wie möglich eine Seeanemone finden. Bewohnte Anemonen werden bevorzugt. In der Gruppe ist man sicherer.

Geschützt vor Anemonengift

Welche Schlüsselrolle die Nesseltiere generell für Clownfische spielen, offenbart ein Blick in die Evolutionsgeschichte. Der erste Vertreter der Gattung Amphiprion lebte nach bisherigen Erkenntnissen vor mehr als zwölf Millionen Jahren im damaligen Westpazifik.

Dieser Ur-Clownfisch muss irgendwie einen Schutz gegen Anemonengift erlangt haben, was ihm neue Perspektiven eröffnete. Plötzlich fanden sich überall geeignete Schlupfwinkel, die keinen anderen Fischen offenstanden – und damit auch bisher unbesetzte ökologische Nischen. Das wiederum ermöglichte die Entstehung der neuen Spezies.

Laudet und sein Team sind der Initialzündung dieser Entwicklung auf die Spur gekommen. Zusammen mit Kollegen der Universität Lausanne analysierten sie das Erbgut von neun verschiedenen Clownfisch-Spezies und suchten dabei gezielt nach Genen, die eine einzigartige Struktur aufweisen und unter Selektionsdruck gestanden haben müssen. 17 Gensequenzen zeigen tatsächlich Hinweise auf eine positive Auslese.

Biochemische Tarnkappe

Zwei davon tragen die Codes für Proteine mit neutralisierender Wirkung auf bestimmte Zuckerverbindungen, wie die Forscher in "Genome Biology and Evolution" berichteten. Diese Aminozucker kommen in Fischhaut normalerweise reichlich vor und dienen den Nesselzellen von Seeanemonen als Aktivierungssignal. Bei Amphiprion indes scheinen zumindest einige Aminozucker außen zu fehlen. Am Anfang des Bundes zwischen Clownfischen und Nesseltieren dürfte somit eine Art biochemische Tarnkappe gestanden sein.

Für die Forscher ist das Puzzle noch lange nicht komplett. Die Evolution hat die Symbiosen weiter optimiert, die Fische verfügen inzwischen wohl auch über Enzyme für den Abbau von Anemonengiften. Den Wirten selbst nützen die Ausscheidungen ihrer Schützlinge. Wie Korallenpolypen beherbergen auch Seeanemonen einzellige Algen als Zuckerlieferanten.

Den Kleinstpflanzen dient Ammoniak aus den Fisch-Exkretionen als Dünger. Abgesehen davon attackieren die Clownfische gierige Tentakelfresser. Alle Beteiligten profitieren. Den Erfolg der Kooperation zeigt jedoch vor allem die außergewöhnliche Lebenserwartung von Clownfischen, wie Laudet betont. Sie können bis zu 30 Jahre alt werden. (Kurt de Swaaf, 25.3.2020)