Der Maler Ferdinand Schnorr von Carolsfeld fertigte 1810 dieses Brustbild von Ludwig van Beethoven (1770–1827) an. Heuer wird der 250. Geburtstag des Komponisten gefeiert.

Foto: Beethoven-Haus Bonn

Wilde Mähne, grimmiger Blick, umhüllt von einer Aura der Unnahbarkeit – es ist das Inbild des einsamen Genies, das uns aus den gängigen Beethoven-Porträts etwas grantig entgegenblickt. Ein Gigant der Musikgeschichte eben, dem durch sein allmähliches Ertauben noch dazu ein besonders tragisches Schicksal beschieden war.

Das Image des düsteren Musiktitanen kam nicht von ungefähr. "Zur Zeit Ludwig van Beethovens war aufgrund der napoleonischen Bedrohung das Heldenhafte sowohl im realen Leben als auch in den Künsten dringend gefragt", sagt Melanie Unseld, Professorin für historische Musikwissenschaft an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien.

Und Beethoven habe wie viele seiner Komponistenkollegen den passenden Sound dazu geliefert. "Kriegshelden waren gesellschaftliche Vorbilder, das spiegelt sich auch in Beethovens Musik." In ihr bringt er die Tugenden seiner Zeit wie Opferbereitschaft, Mut, Vaterlands- und Freiheitsliebe auf eine neuartige, kraftvolle Weise zum Klingen.

Irritation für das Publikum

Beethovens heroische Werke verschwanden allerdings, anders als die seiner Zeitgenossen, nicht in der Versenkung. Dass er schon früh eine Sonderposition in der Musikgeschichte einnahm, sei seiner "extremen Kompositionsästhetik" geschuldet: "Seine Musik hat die Menschen irritiert", so Unseld. "Viele haben sie völlig abgelehnt, etliche aber waren davon fasziniert."

Diese Spaltung rückte das Exzeptionelle von Beethovens Kompositionen schon bald in den Fokus. Bereits in den ersten Biografien spielte das Grenzüberschreitende seiner Musik neben dem Heroischen eine zentrale Rolle. "Von dort aus wird das Heldentümliche dann bis ins 20. Jahrhundert hinein weitertradiert."

Wobei das Grimmige und Unnahbare, das sowohl den meisten Beethoven-Abbildungen als auch seinem Image anhaftet, wahrscheinlich zu einem guten Teil seiner fortschreitenden Taubheit geschuldet ist. Immerhin war er schon mit Ende 20 schwerhörig und konnte sich in der zweiten Lebenshälfte nur noch mühsam mit seiner Umwelt verständigen.

Wie verzweifelt er deshalb war, ist in einem Brief an seine beiden Brüder, dem "Heiligenstädter Testament" von 1802, nachzulesen. Da Beethoven seinen Lebensunterhalt nicht nur mit Komponieren, sondern zunächst vor allem als sehr erfolgreicher Pianist in den Häusern und Palästen von Adligen verdiente, war sein Ertauben nicht nur eine physische und psychische Katastrophe, sondern auch existenzbedrohend.

All diese persönlichen und historischen Umstände helfen zu erklären, wie und warum das bis heute dominante Beethoven-Bild des einsamen Musiktitanen entstanden ist.

Das Theater als Künstler-WG

In ihrem Forschungsprojekt "Erinnerungsort Beethoven. Theater an der Wien" haben Melanie Unseld und ihre Kollegin Julia Ackermann den Blick hinter die Fassade dieses Mythos gerichtet. Welche Rolle das Theater an der Wien dabei spielt?

"An diesem Ort hat der junge Beethoven von 1803 bis 1805 gelebt, gearbeitet und seine einzige Oper, Fidelio, komponiert", so Unseld. "Trotzdem ist er unter den zahlreichen Wiener Beethoven-Gedenkorten kaum präsent." Warum? Passt Ludwigs Wirken als "composer in residence" an diesem Vorstadttheater vielleicht nicht zu seinem von der Nachwelt gepflegten Image?

Immerhin hat er hier als junger Mann in einer Art Künstlerwohngemeinschaft mit vielen anderen Musikern, Komponisten, Sängern und sonstigen Theaterleuten in enger Gemeinschaft gelebt. "Im Theater an der Wien haben die Künstler damals nicht nur gearbeitet, sondern mit ihren Familien auch gewohnt", berichtet die Wissenschafterin.

"Man teilte sich das Hauspersonal, ging gemeinsam in die Wirtschaft essen und diskutierte über die aktuellen Projekte." Mindestes zehn um Freunde und diverse Verwandte erweiterte Künstlerfamilienverbände haben in diesen Jahren direkt im Theatergebäude gelebt, darunter auch die Familie Schikaneder.

Mitten in diesem brodelnden Kreativbiotop hat Beethovens steile Karriere begonnen. Eine bislang in der Beethoven-Rezeption kaum wahrgenommene Lebensphase, die sich ins Bild des unnahbaren, genialen Einzelgängers nicht gut einpassen lässt. Tatsächlich sei der junge Beethoven durchaus gesellig und gut vernetzt gewesen.

Auch an den Frauen war er interessiert und steht in seinen zwei Jahren am Theater an der Wien einmal sogar kurz vor der Hochzeit. Auch wenn das Vorhaben letzten Endes nicht durchgeführt wird, habe sich Beethoven nicht in die Einsamkeit zurückgezogen. "Allerdings passt diese nicht zustande gekommene Heirat perfekt zum Mythos des einsamen Genies, das naturgemäß an der Liebe scheitern muss", so Unseld.

Tragischer Held

Wird doch laut Georg Wilhelm Friedrich Hegel jeder Held zum Philister, sobald er sich in die Banalität einer Ehe begibt … Ein Schicksal, das Beethoven zur Freude der Heldenimagepfleger erspart bleibt. Dass er dann auch noch sein Gehör verliert, macht ihn schließlich ganz im Sinne der heroensüchtigen Nachwelt zum tragischen Helden.

In ihrem 2018 gestarteten und von der Stadt Wien finanzierten Projekt bringen Melanie Unseld und Julia Ackermann den vernachlässigten Erinnerungsort "Theater an der Wien" in all seinen sozialen, künstlerischen und materiellen Aspekten in das heurige Beethoven-Jubiläum ein. Das umfasst auch eine Rekontextualisierung von Beethovens Oper Fidelio, deren Uraufführung am Theater an der Wien als Fiasko in die Musikgeschichtsschreibung eingegangen ist.

"Fidelio" doch kein Fiasko?

Durch die detaillierte Analyse des damaligen Repertoires erscheint dieses Fiasko nun in einem ganz neuen Licht. "Beethoven musste den ‚Fidelio‘ nach der Uraufführung gegen seinen Willen überarbeiten, danach blieb die Oper ein paar Jahre liegen, bis dann die dritte Fassung an einem anderen Theater aufgeführt wurde", berichtet Unseld.

Das als Fiasko darzustellen, treffe die Sache jedoch nicht. "Wir haben uns die Bedingungen sehr genau angeschaut, unter denen damals Theater gemacht wurde. Dabei fanden wir heraus, dass auch die anderen Stücke am Theater an der Wien nicht häufiger gespielt wurden, da es einen extrem schnellen Durchlauf an Produktionen gab", sagt die Wissenschafterin. "Auch die Überarbeitung einer Oper war in dieser Zeit etwas völlig Selbstverständliches."

Die späte Aufarbeitung von Beethovens Zeit am Theater an der Wien macht deutlich, wie Erinnerung konstruiert wird und welche gesellschaftlichen Bedürfnisse hinter diesen Konstrukten stehen. "Wie wir erinnern, erzählt nicht nur viel über den Erinnerten, sondern auch über uns selbst", resümiert Unseld. "Man greift sich heraus, was gerade gebraucht wird."

In der kürzlich erschienenen Publikation "BEETHOVEN.AN. DENKEN" haben die Wissenschafterinnen ihre Erkenntnisse zu diesem blinden Fleck in der Beethoven-Forschung zusammengefasst und vermitteln zudem spannende Einblicke in die Arbeitsbedingungen und Lebensumstände der Künstler am Theater an der Wien zu Beginn des 19. Jahrhunderts. (Doris Griesser, 2.4.2020)