Elsaidy hat sich mit historischen Ereignissen und deren Auswirkungen auf die christlich-europäische und die muslimische Erinnerungskultur beschäftigt.

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Es gibt historische Ereignisse, die sich tief ins kollektive Gedächtnis hineingefressen haben. In der österreichischen Erinnerungskultur ist das etwa die zweite Wiener Türkenbelagerung von 1683. In der arabisch-muslimischen Welt wiederum sind es die Kreuzzüge des christlichen Abendlands gegen die muslimischen Staaten im Nahen Osten. Obwohl sie lange zurückliegen, sind diese Ereignisse bis heute emotional aufgeladen und wirken als sogenannte "Erinnerungsorte" an der Konstruktion von Feindbildern mit.

"Erinnerungsorte wie das Jahr 1683 oder die Kreuzzüge sind wie ausgetrocknete Flussbette, die durch eine Aktualisierung schlagartig wieder mit Wasser gefüllt werden und so immer wieder zu neuem Leben erwachen können", sagt Amro Elsaidy.

In seiner demnächst als Buch erscheinenden Dissertation am Institut für Orientalistik der Universität Wien hat sich der gebürtige Ägypter mit diesen beiden historischen Ereignissen und deren Auswirkungen auf die christlich-europäische und die muslimische Erinnerungskultur beschäftigt.

"Die Wiener Türkenbelagerung und die Kreuzzüge sind nicht nur historisch eng miteinander verflochten, sondern auch maßgeblich für das Fremd- und Selbstbild der Europäer und der Muslime."

Etablierung von Gegendiskursen

Erinnerungsorte können Grundstimmungen in einer Gesellschaft verstärken. "Durch die aggressive Politik Erdogans etwa werden Erinnerungen an längst vergangene Ereignisse wach, die ein allgemeines Misstrauen gegenüber Muslimen verstärken", sagt Elsaidy.

Radikale Gruppierungen sprechen solche Erinnerungsorte direkt an. So werde der "Spirit of 1683" von der rechtsradikalen Identitären Bewegung durch einen jährlichen Gedenkmarsch auf den Kahlenberg wachgehalten. Andererseits ist in Bekennerschreiben islamistischer Terroristen immer wieder von "Kreuzzüglern" und "Kreuzfahrernationen" die Rede.

Aber auch ganz normale Jugendliche sind, wie der empirische Teil der Arbeit zeigt, von diesen unterschiedlichen Erinnerungskulturen beeinflusst. "Man muss erkennen, wie erfolgreich Erinnerungsorte von radikalen Kräften für deren Zwecke instrumentalisiert werden", betont Elsaidy. "Das heißt aber nicht, solche Ereignisse zu leugnen, es braucht vielmehr eine kritische Auseinandersetzung." Konkret bedeute das Bewusstseinsbildung in Schulen und das Etablieren von Gegendiskursen.

Hybrid-Identität

Vor 14 Jahren ist Elsaidy mit einem Bachelor in Arabistik und Islamwissenschaft der Universität Kairo zum Weiterstudieren nach Österreich gekommen. Mittlerweile hat er die Staatsbürgerschaft und eine Art "Hybrid-Identität": "Ich fühle mich nicht mehr ganz als Ägypter, aber auch nicht als 100-prozentiger Österreicher – letztlich bin ich eine Mischung aus beidem."

So zieht es den 38-Jährigen regelmäßig in die alte Heimat nahe Alexandria, und von dort dann wieder mit Nachdruck nach Österreich. "Ich liebe dieses Land, in dem ich die beste Zeit meines Lebens verbracht habe!" Dass er es vor kurzem trotzdem wieder verlassen hat, ist seiner neuen beruflichen Position als Arabisch-Dozent und Fremdsprachenkoordinator an der Uni Regensburg geschuldet. "Nun muss ich zwischen Deutschland, Österreich und Ägypten pendeln", sagt er. (Doris Griesser, 1.4.2020)