Alexander Schallenberg konferiert derzeit nur per Video.

Foto: EPA/Christian Brunner

Das österreichische Außenministerium ist dieser Tage voll damit ausgelastet, die Rückkehr von Österreichern aus aller Welt zu organisieren. Dabei sei Eile geboten, betont Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP). Immer mehr Staaten würden ihre Grenzen schließen.

STANDARD: Mehr als 4.000 Menschen wurden bisher nach Österreich zurückgeholt. Täglich werden Linienflüge eingestellt, Grenzen geschlossen. Wie lange werden Rückholungen noch möglich sein?

Schallenberg: Wir werden sie natürlich so lange wie notwendig durchführen. Zugegebenermaßen wird es aber immer schwieriger. Es gibt Länder, die ankündigen, den ganzen Luftraum zu sperren, das würde auch für Repatriierungsflüge gelten. Daher ist wirklich Eile geboten.

STANDARD: Bei welchen Destinationen gibt es Probleme?

Schallenberg: Jeder Staat befindet sich in einer Ausnahmesituation und trifft seine Entscheidungen zum Schutz seiner Bürgerinnen und Bürger.

STANDARD: Einige Betroffene haben keine Chance, zu internationalen Flughäfen zu kommen.

Schallenberg: Ich ersuche alle, sich in diesem Fall mit den Konsulaten und Botschaften vor Ort in Verbindung zu setzen. Dort, wo wir nicht direkt hinfliegen können, versuchen wir mit anderen EU-Staaten gemeinsame Flüge zu organisieren. Wie das zum Beispiel bei den EU-Flügen aus Wuhan im Februar bereits geschehen ist.

STANDARD: Was wurde am Montag dazu beim EU-Außenministerrat vereinbart?

Schallenberg: Bei den Rückholflügen, die teilweise EU-kofinanziert sind, koordinieren sich die Mitgliedsstaaten bereits jetzt vor Ort. Im Außenministerrat haben wir aber beschlossen, dass wir die EU-Solidaritätsklausel aktivieren wollen. Das wäre ein starkes Symbol des Zusammenhalts auf europäischer Ebene. Was ebenfalls erarbeitet werden soll, ist der Zugriff auf den EU-Solidaritätsfonds. Der ist an sich für Naturkatastrophen vorgesehen, soll aber jetzt auf öffentliche Gesundheitskrisen ausgedehnt werden. Dann würden zusätzliche 800 Millionen Euro zur Verfügung stehen.

STANDARD: Wie kann Solidarität aussehen? Schließlich sind jetzt alle vor allem darauf bedacht, sich auf diverse Krisenszenarien vorzubereiten.

Schallenberg: Es ist wichtig, dass ein symbolischer Akt gesetzt wird. Ein stärkeres europäisches Bewusstsein beginnt erst jetzt Platz zu greifen. Man muss auch sehen, dass es immer noch Staaten gibt, die mit ihren Maßnahmen hinterherhinken. Konkret sichtbar werden kann die europäische Solidarität, wenn wir zum Beispiel bei der Heimholung von Bürgern aus jenen Staaten helfen, die keine eigenen Fluglinien haben.

STANDARD: Teilweise gab es Probleme mit Lieferungen von medizinischem Material nach Österreich, das an der Grenze festhing.

Schallenberg: Das ist nicht zu akzeptieren. Die Regeln des EU-Binnenmarkts müssen weiter gelten, insbesondere beim Transport von medizinischem Material. Der freie Gütertransport muss jederzeit sichergestellt sein. Das wäre sonst eine fahrlässige Gefährdung des Gesundheitssystems.

STANDARD: Apropos Solidarität: Wird man Griechenland mit den Flüchtlingslagern in der Corona-Krise helfen?

Schallenberg: Wir helfen Griechenland bereits jetzt doppelt: Einerseits unterstützen wir sie beim Schutz der EU-Außengrenze personell und zweitens humanitär mit Mitteln für die Flüchtlingsversorgung. Damit kann auch die Situation in den Lagern verbessert werden.

STANDARD: Gibt es Neuigkeiten zu den beiden im Iran inhaftierten Doppelstaatsbürgern, die ja zur Risikogruppe gehören?

Schallenberg: Ich habe meinem iranischen Amtskollegen Mohammed Zarif erst letzte Woche wieder einen Brief geschrieben und ihn dringend aufgefordert, hier eine humanitäre Lösung zu finden. Wir werden weiter darauf drängen, dass die Betroffenen für die Dauer dieser Gesundheitskrise die Haft in Hausarrest verbringen können.

STANDARD: Gibt es Fortschritte mit den Nachbarstaaten, was das Thema der Pflegerinnen betrifft?

Schallenberg: Das ist ein sehr kompliziertes Thema. Wir stehen auf dem Standpunkt, dass Pendler, insbesondere wenn sie in Pflegeberufen, in medizinischen Berufen oder in der Landwirtschaft arbeiten, weiterhin frei zirkulieren sollten. Es handelt sich hier schließlich um zehntausende Arbeitsplätze. Wir sind in regelmäßigem Kontakt mit unseren Nachbarn und hoffen auf eine baldige Lösung. In der Slowakei wurde beispielsweise gerade eine neue Regierung angelobt, die prüft nun die Maßnahmen ihrer Vorgänger.

STANDARD: Auf EU-Ebene gab es bereits vorher etliche Baustellen. Wie geht es jetzt mit den Verhandlungen mit Großbritannien oder mit dem EU-Budget weiter?

Schallenberg: Corona drängt alle anderen Themen vollkommen zur Seite. Bisher haben wir von den Briten noch keine Hinweise, dass sie eine Fristverlängerung wollen. Allerdings wird sich wohl vieles, was vor einem Monat noch als unveränderlich galt, in einigen Wochen anders darstellen. Auch beim EU-Budget werden die Diskussionen unter dem Blickwinkel Corona anders weiterlaufen.

STANDARD: Wie ordnen Sie die aktuelle Situation ein?

Schallenberg: Wir sind mit einer nie da gewesenen und sehr einschneidenden Situation konfrontiert. Vor allem deshalb, weil sie ausnahmslos jeden Einzelnen von uns betrifft, sowohl beruflich als auch persönlich. (Manuela Honsig-Erlenburg, 24.3.2020)