In den letzten Wochen stößt man immer wieder auf Berichte von Wunderheilern und Sektenführern, die den zurzeit verunsicherten Menschen eine Lösung anbieten. Die Angst vor dem Coronavirus und dem Umstand, dass die Schulmedizin noch kein Mittel dagegen gefunden hat, lässt manche auf vermeintlich traditionelle Mittel zurückgreifen. In Brasilien warb eine evangelikale Sekte mit "einer Salbung mit geweihtem Öl", das "gegen Epidemien, Viren oder Krankheiten immun" machen soll, in Indien tauchte eine andere besondere Medizin auf: Eine Hindugruppierung versprach dieselbe Wirkung von der Konsumation von Kuh-Urin.

Zwar gibt es für die aktuelle Situation in Österreich keine Informationen über solche Wunderheilungen, jedoch finden wir heute noch Spuren von ähnlichen Heilungsversprechungen in der Vergangenheit. Ein Medium, das eine ähnliche Wirkung verspricht, sind religiöse Medaillen. Man findet sie auf jedem Flohmarkt, in Omas alter Holzschatulle oder in Souvenirläden bei Wallfahrtsorten über die ganze Welt verteilt. Heutzutage bestehen sie aus Aluminium oder Plastik, sind Teil von Rosenkränzen oder als einfache Anhänger meist recht billig zu erwerben.

Was hat das aber nun mit Archäologie zu tun?

Egal ob bei neuzeitlichen Bestattungen oder als Streufunde, bilden religiöse Medaillen ein immer wieder vorkommendes Fundgut. So auch bei der Ausgrabung im Friedhof des Elisabethinen-Spitals im 3. Bezirk in Wien. Dort kamen genau einhundert religiöse Medaillen, die den verstorbenen Frauen als Beigaben mit ins Grab gegeben wurden, zum Vorschein. Nach der Restaurierung wurden diese nun gemeinsam mit den anderen numismatischen Objekten an der Akademie der Wissenschaften bearbeitet.

Medaille in Fundlage im Beckenbereich einer Frau aus dem Elisabethinen-Friedhof.
Foto: Novetus GmbH

Was macht eine religiöse Medaille aus? Wie der Name schon sagt, handelt es sich dabei um Medaillen mit einem religiösen Thema. Generell lassen sie sich in zwei Gruppen einteilen: Die erste Gruppe sind Wallfahrtsmedaillen, also Medaillen mit einem direkten Ortsbezug durch eine Abbildung der Wallfahrtskirche oder des Gnadenbildes. Die zweite und häufigere Gruppe ist die der Personen- und Heiligenmedaillen. Zwar kann man manchmal anhand von regionalen Heiligenverehrungen beziehungsweise der Kombination von zwei bestimmten Heiligen auf einer Medaille auf einen Ortsbezug schließen, jedoch ist diese Gruppe meist nicht ortsgebunden.

Vielmehr steht dabei die Verehrung eines oder einer bestimmten Heiligen im Mittelpunkt. Beide Gruppen stehen immer wieder in Verbindung mit christlichen Kongregationen, Bruderschaften, Orden und Vereinen. Manchmal nehmen die Objekte auch Bezug auf bestimmte Ereignisse wie Kirchweihen oder Wallfahrten.

Gnadenbild Mariazell
Foto: ÖAW/ Novetus GmbH
Ein Beispiel für eine religiöse Medaille ohne Ortsbezug: die Apostel Petrus und Paulus.
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Buch zur Anwendung von Medaillen

Der Ursprung religiöser Medaillen ist bis jetzt nicht gänzlich geklärt. Man geht aber davon aus, dass sie aus mittelalterlichen Pilgerzeichen entstanden sind. Mit dem Aufschwung der Gegenreformation im 17. Jahrhundert begann ihre erste große Blütezeit. Der massenmediale Charakter verhalf den kleinen Amuletten zu einer Verbreitung im gesamten katholischen Europa und in den Kolonialgebieten. Im 18. Jahrhundert, in der Zeit also, in der sich der Friedhof der Elisabethinen in Benützung befand, wurden religiöse Medaillen vielseitig verwendet. Ein Auszug aus einem sogenannten "Benediktsbüchlein" zeigt die diversen Anwendungsmöglichkeiten. Es ist ein seit 1647 bis heute immer wieder veröffentlichtes Buch zur Anwendung von Medaillen des heiligen Benedikt:

  1. "Sie vertreiben von den menschlichen Leibern alle Bezauberung und vom Teufel zugefügten Schäden.
  2. Sie verhindern, dass keine Hexe oder Zauberer könnte eingehen, wo dieser Pfennig ober der Thür angenagelt, oder unter der Türschwelle vergraben ist.
  3. Denjenigen, so vom Teufel angefochten werden, bringen sie Beschirmung.
  4. Wenn das Vieh verzaubert ist, und man den Pfennig ins Wasser legt, und das Vieh damit wäschet, so muss die Bezauberung weichen.
  5. Wann in der Milch oder Butter ein unnatürlicher Schaden verspühret wird, so soll man den Pfennig ins Wasser legen und das Vieh davon trinken lassen."
Benediktsmedaille: Am Avers der heilige Benedikt in Ordensgewand mit Bischofsstab, Kelch mit Schlange und der Regula Benedicti.
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Am Revers die Abkürzungen einer mystisch aufgeladenen Beschwörungsformel gegen den Teufel, Benediktssegen in Benediktsschild.
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Die religiösen Medaillen des Friedhofs des Elisabethinen-Klosters bilden einen interessanten Einblick in die barocke Frömmigkeit der Wiener Gesellschaft im 18. Jahrhundert. Die nachgewiesenen Wallfahrtsorte Altötting, Passau, Clum (Tschechien), Mariazell, Sonntagberg, Maria Einsiedeln, Loreto, Altbunzlau (Stará Boleslav, Tschechien), Salzburg, Maria Taferl und klarerweise Wien bieten Aufschluss über die Mobilität der Wallfahrer.

Auch die Verehrung bestimmter Heiliger kann eine interessante Quelle für die Mentalitätsgeschichte sein. Darüber hinaus sind sie auch aus kunsthistorischer Sicht interessant, als Zeugnisse christlicher Ikonografie und ihrer massenmedialen Verbreitung. Eine systematische Erforschung der Objekte mit den Methoden der Numismatik (Münz- und Geldgeschichte) kann nicht nur der historischen Wallfahrtsforschung neue Erkenntnisse liefern, sondern auch der Neuzeitarchäologie bei der Bearbeitung von Fundkomplexen helfen. (Benedikt Prokisch, 26.3.2020)

Unbekanntes Gnadenbild: Nicht immer liefert die Untersuchung eine erfolgreiche Zuweisung. Vor allem bei schlecht erhaltenen Exemplaren ist es nicht einfach, den Wallfahrtsort zu bestimmen.
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Eine Medaille des Minoriten-(Trinitarier- bzw. Weißspanier-)Klosters und Pfarrkirche der hl. Dreifaltigkeit im 8. Wiener Bezirk, Alser Straße 17. Dargestellt ist am Avers der Ährenchristus...
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... und am Revers die fünf Wunden Christi, Symbol der dort angesiedelten Bruderschaft.
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