Wien – Der Handel steht still, die Straßen sind wie ausgestorben, nur in den Supermärkten regt sich Leben. Nur in Supermärkten? Quer durch Österreich haben tausende Bäcker nach wie vor täglich geöffnet. Allein, keiner geht hin. Dass sie als Profiteure der Krise gelten, darüber können Unternehmer wie Kurt Mann und Doris Felber, Christian Ruetz und Martin Auer nur müde lächeln. Ihre Umsätze brachen von Wien über die Steiermark bis Tirol um 70 Prozent ein. Mitarbeiter, um die sie jahrelang kämpften, müssen in Kurzarbeit geschickt werden. Die Mieten für hunderte Geschäfte laufen ungebremst weiter.

Die Umsätze vieler Bäcker brechen trotz offener Filialen um 70 Prozent ein.
Foto: Imago

Fluch und Segen zugleich nennt Martin Auer die Entscheidung der Regierung, den Bäckern das Offenhalten ihrer Standorte weiterhin zu erlauben. Der Grazer führt mit 390 Mitarbeitern 32 Filialen. Er versucht, diese weitgehend aufrechtzuerhalten, sieht jedoch die Erlöse einer ganzen Branche zerbröseln. Große Lebensmittelketten wurden infolge der Ausgangsbeschränkungen mehr denn je zu One-Stop-Shops – ihre Mitarbeiter ob des ungeheuren Ansturms an Kunden zu neuen Helden des Alltags. Die Österreicher decken sich bei Brot und Gebäck allerdings vor allem mit lang haltbarer, abgepackter Industrieware ein, vieles davon ist importiert.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Der Weg zu anderen Nahversorgern wird vermieden, sie sind aus den Augen und aus dem Sinn, sagt Auer. "Ich verstehe ja viele Konsumenten, sie leben in einem Ausnahmezustand. Aber auch kleine lokale Händler können ihnen bieten, was sie brauchen. Es geht um hunderttausende Schicksale."

Der Innungsmeister der Bäcker, Josef Schrott, spricht von Umsatzverlusten einzelner Unternehmer von bis zu 90 Prozent, trotz laufenden Betriebs. Etliche versuchten nun, sich mit einem Lieferservice über Wasser zu halten. Aber ohne die Bereitschaft der Österreicher, weiterhin lokal einzukaufen, werde es nicht lange gehen. "Regionale Strukturen zu stärken ist für viele überlebensnotwendig."

Supermärkte wickeln mehr als 75 Prozent des Backwarengeschäfts ab, in Zeiten der Corona-Krise fast das gesamte.
Foto: Imago

Von jedem Euro, den er verdient, fließen 48 Cent in die Lohn- und Gehaltskosten, rechnet Auer vor. Doch mittlerweile seien die Personalkosten weit höher als die Einnahmen. "Wir versuchen, die Nerven zu bewahren, aber wie lange hält ein Unternehmer das durch?" Wie Auer lebt ein Großteil der Branche von eigenen Filialen in hochfrequentierten Lagen wie Einkaufszentren, U-Bahn-Stationen und Verkehrsknotenpunkten. Alle drei sind nun verwaist. Gastronomisches Angebot, das für einen Gutteil des Geschäfts sorgt, wurde den Bäckern wie allen Wirten behördlich verboten.

Handel bäckt gern selber

Supermärkte wiederum backen vermehrt in eigenen Produktionen frisch. Das Gros der Teiglinge für ihre Aufbackstationen liefern ausgewählte Spezialisten. Für lokale mittelständische Bäcker ist in ihren Regalen nur bedingt Platz. Großbäcker wie Felber und Ruetz versorgen zwar auch die Gastronomie und Hotellerie, infolge des Coronavirus liegen jedoch beide wichtigen Abnehmer am Boden. Österreich zählt abseits von Industriebetrieben wie Anker und Ölz rund 1.100 Bäcker mit in Summe gut 22.000 Mitarbeitern. In den 70er- Jahren waren es noch 3.000.

Ihre Zahlen schmelzen unaufhörlich wie die Gletscher in Tirol, sagt Christian Ruetz, der in Westösterreich 45 Filialen betreibt. Covid-19 sei eine Zäsur: Betriebe ohne Nachfolger würden in der Folge zusperren, Junge sich den Job in Zukunft gar nicht mehr antun. Ruetz selbst hat vor einem halben Jahr angesichts des Personalmangels in Tirol noch Kopfgeld für neue Mitarbeiter ausgesetzt, die seine Leute anheuerten, und er betont, dass diese Goldes wert seien. Dennoch müsse er in einigen Wochen Kurzarbeit in der Produktion anmelden. In seinen Filialen baut er vorerst noch Urlaube ab.

"Wir haben ein Jahr gekämpft, um gute Fachkräfte zu finden, und wir wollen sie halten", sagt Philip Hink, der bei Felber die Finanzen leitet. Konzentriere sich aber der gesamte Konsum an Lebensmitteln primär auf die großen Supermärkte, drohe ein Sterben der übrigen Lebensmittelversorger.

Lockerung der Sonntagsöffnung?

Sein Kollege Ruetz in Tirol sieht jetzt den Zeitpunkt gekommen, die Gewerbeordnung zu entrümpeln. Er appelliert an die Politik, seiner Branche die Sonntagsöffnung zu erleichtern. Derzeit dürfen Bäcker sonntags nur in Ausnahmefällen aufsperren, sie brauchen dafür eine Konzession als Gastronomiebetrieb oder Konditor, was erheblichen zusätzlichen Aufwand bedeute, wie Ruetz erläutert. Der Sonntag könne für viele ein Rettungsring sein.

Statt mit frischem Gebäck versorgen sich Konsumenten vermehrt mit lang haltbarer, abgepackter Industrieware.
Foto: Imago

Auer hat bereits Kurzarbeit beantragt, Felber meldet ein Zehntel der Belegschaft an, Kurt Mann die gesamte Mannschaft inklusive der Geschäftsführung. Mann, der im Großraum Wien 850 Mitarbeiter und 79 Filialen zählt, hält das Modell der Kurzarbeit für unternehmerfreundlich. Dennoch sei es administrativ aufwendiger und teurer als kolportiert. Abgesehen davon, dass es sich innerhalb weniger Tage laufend geändert habe.

Fairness fehlt

"Vor allem die Vorfinanzierung der Lohnkosten ist ein harter Bissen. Wir hoffen, dass das alles irgendwann gewürdigt wird", sagt Mann. Andere Betriebe der Branche reagierten der Einfachheit halber mit Kündigungen, gibt er zu bedenken. "Die Kosten werden damit an die Allgemeinheit ausgelagert, fair ist das nicht."

Dass die Geschäfte nach Corona weiterlaufen, als wäre nichts gewesen, glaubt er nicht: "Jeder Monat Ausnahmezustand mehr verlängert die Krise um ein Jahr. Das Licht wieder aufdrehen – und alles ist wie bisher, das spielt es nicht." (Verena Kainrath, 26.3.2020)