Ursprünglich hatte Boris Johnson seine Strategie zur Bewältigung der Corona-Krise in einem bemerkenswerten Zitat auf den Punkt gebracht: "Sehr viele mehr werden sich von geliebten Menschen vor der Zeit verabschieden müssen." Dieser zynische Vulgärdarwinismus nach dem Motto "Always look on the bright side of death" ist aber nicht nur bei der für Johnsons Wahlerfolg maßgeblichen Zielgruppe der Senioren weniger gut angekommen. Mittlerweile muss er auch zur Kenntnis nehmen, dass die überwältigende Mehrheit seiner Landsleute nicht mehr bereit ist, die Kosten-Nutzen-Rechnung als oberste gesellschaftliche Richtlinie zu akzeptieren. Wer angesichts der Pandemie noch an das Prinzip des nur auf seinen wirtschaftlichen Vorteil bedachten "Homo oeconomicus" oder an die heilende Kraft der "unsichtbaren Hand des Marktes" glaubt, handelt um nichts realitätsbezogener, als würde er auf die Erlösung durch das fliegende Spaghetti-Monster warten.

Und das gilt weltweit. Es gehört zu den wenigen tröstlichen Aspekten der Krise, dass die Ayatollahs des Marktfundamentalismus derzeit in der öffentlichen Wahrnehmung den Verfechtern der Flat-Earth-Theorie immer ähnlicher werden. Doch leider gibt es einen wesentlichen Unterschied. "Die Erde ist eine Scheibe"-Gläubige wurden in der Vergangenheit nicht als Fluglotsen oder in der Weltraumforschung eingesetzt. Den "Freies-Spiel-der-Kräfte"-Fundis hingegen wurde die Möglichkeit gegeben, mit ihren Irrlehren gigantischen Schaden anzurichten, wie es uns beispielsweise im Bereich der Gesundheitsökonomie dieser Tage in vielen Ländern schmerzlich vor Augen geführt wird. Selbst Menschen, die sich bislang als "überzeugte Neoliberale" bezeichnet haben, erkennen nun, dass nur massive staatliche Eingriffe die Wirtschaft retten können.

Einfühlsame Botschaft

Der Chef der Österreichischen Nationalbank Robert Holzmann.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Umso absurder, wenn ausgerechnet von staatlicher Seite eine Stimme aus der Gruft der Spaghetti-Monster-Ökonomie ertönt. Im Interview mit dem STANDARD warnt Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann vor der staatlichen Verhinderung von Konkursen, denn dadurch würden die "Reinigungskräfte der Krise nicht wirken". "Nur überlebensfähige Firmen sollen überleben" lautet seine einfühlsame Botschaft an hunderttausende in eine düstere Zukunft blickende Wirtschaftstreibende im Land, wobei er sich auch noch auf die "Theorie der schöpferischen Zerstörung" des Ökonomen Joseph Schumpeter beruft. Letzterer kann sich gegen die Unterstellung, er hätte eine todbringende Seuche als "schöpferisch" betrachtet, nicht mehr wehren. Wir aber können uns fragen, wie es möglich ist, mit einer Einstellung wie von Holzmann offenbart, dieses Amt innezuhaben. Im Gespräch mit hochrangigen ÖNB-Insidern erfährt man, dass seine hier zutage tretende Empathielosigkeit und hypertrophe Ich-Bezogenheit auch Merkmale seiner bisherigen Amtsführung seien, was in internationalen Beziehungen immer öfter für Verstörungen sorgt, weshalb er intern "unser Trump" genannt werde.

Bei Donald Trump besteht wenigstens die Hoffnung, dass er im Herbst abgewählt wird, Holzmann bleibt die nächsten sechs Jahre quasi unkündbar. Wo sind die "Reinigungskräfte der Krise" wenn man sie einmal brauchte? (Florian Scheuba, 25.3.2020)