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Es wird ernst auch für Hunderttausende von Bürgerinnen und Bürgern in Kapstadt: "Bleiben Sie zu Hause, wenn Sie können."
Foto: AP Photo/Nardus Engelbrecht

Dass es noch schlimmer kommen könnte, hätte Cyril Ramaphosa wohl nicht für möglich gehalten. Schon seit zwei Jahren bemüht sich der Präsident Südafrikas, den durch seinen Amtsvorgänger begangenen Schaden zu beheben: Vor allem auf wirtschaftlichem Gebiet sind die Folgen der korrupten Herrschaft Jacob Zumas dermaßen verheerend, dass das Land partout nicht aus der Rezession auftaucht. Nun sieht Ramaphosa sein Dilemma noch um ein Vielfaches verschlimmert. Mit täglich mehr als 150 Neuansteckungen scheint sich die Hoffnung erledigt zu haben, dass das Kap die Corona-Pandemie irgendwie glimpflich überstehen könnte.

Anfang dieser Woche sah sich Ramaphosa deshalb zu einem beispiellosen Schritt veranlasst: Er erließ eine dreiwöchige totale Ausgangssperre für das Land, die am Freitag beginnt. Die Entscheidung des Staatchefs war unter anderem von einer Studie des einflussreichen Londoner Imperial College beeinflusst, deren Berechnungsmodelle für Südafrika ein finsteres Bild ergaben: Innerhalb von drei Wochen könnten sich am Kap der Guten Hoffnung bereits 40.000 und in spätestens drei Monaten bis zu eine Million Menschen infiziert haben – und das bei landesweit 5.000 Betten auf Intensivstationen.

Schlimme wirtschaftliche Auswirkungen

Als einzigen Weg aus dem sich anbahnenden Chaos legte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Ramaphosa einen Lockdown nahe: Nur durch die Beschränkung der Bevölkerung auf minimale Kontakte lasse sich das Virus in dieser Phase der Pandemie noch stoppen.

Was die vornehmlich aus dem Norden stammenden Gesundheitsexperten womöglich übersehen: In Afrika hat die Ausgangssperre ganz andere und wesentlich gewichtigere Folgen als in Industrienationen. Der Großteil der schwarzen Township-Bewohner ist im informellen Teil der Wirtschaft beschäftigt: Dort gibt es für nicht gearbeitete Tage auch kein Geld.

Ähnlich schlimm wird sich die Ausgangssperre auf kleine und mittlere Unternehmen auswirken, ist der südafrikanische Wirtschaftsberater Dirk de Vos überzeugt: "Hunderte, wenn nicht gar Tausende" dieser Kleinbetriebe würden vermutlich pleitegehen, mit katastrophalen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Schon heute hat Südafrika eine Arbeitslosenquote von 30 Prozent und ist dermaßen hoch verschuldet, dass an staatliche Stütze für Privatfirmen kaum zu denken ist.

Am ganzen Kontinent drohen Hungersnöte

In anderen afrikanischen Staaten, die sich Südafrika bald mit der Verhängung von Ausgangssperren anschließen könnten, werde ein derartiger wirtschaftlicher Schock sogar zu Hungersnöten führen, meint der Johannesburger Philosoph Seán Mfundza Muller: "Nicht nur das Virus, auch die Armut tötet Menschen."

Hat Ramaphosa also zu früh und zu ruckartig reagiert? Hätte er mit etwas Geduld den wirtschaftlichen Schaden nicht geringer halten können? Aber wenn dann die Ansteckungsrate doch in die Höhe geschossen wäre und Zig- oder gar Hunderttausende von Südafrikanern die Fehlentscheidung mit dem Leben bezahlen würden?

Cyril Ramaphosa pokert hoch.
Foto: EPA/GCIS HANDOUT

Etwas Ähnliches hatte der junge Staat schon einmal erlebt: Als Präsident Thabo Mbeki die Existenz des HI-Virus leugnete und Millionen von Südafrikanern lebenswichtige Medikamente vorenthielt. Der Tod von 350.000 Menschen hätte verhindert werden können, stellte eine "Lancet"-Studie später fest.

Sorge vor wirkungsloser Maßnahme

Ramaphosas größter Gegner ist die Bevölkerung selbst. Südafrikaner sind nicht für Gesetzestreue bekannt: Rote Ampeln, Mautgebühren oder alkoholfreies Fahren werden hier als Empfehlung gehandhabt. Immer noch begrüßen sich viele Südafrikaner mit Handschlag, sind dichtgedrängt in Minibussen unterwegs und gehen am Wochenende an den Strand. Geht es in den nächsten drei Wochen so weiter, wird der Lockdown wirkungslos bleiben. Und dann ist die Wirtschaft zertrümmert, während sich das Virus weiter ausbreitet.

Das ist nicht der einzige Grund, warum eine Ausgangssperre unter afrikanischen Bedingungen zum Scheitern verurteilt sein könnte: In den Slums ist es so gut wie ausgeschlossen, Menschen voneinander getrennt zu halten. "Das ist, wie wenn uns jemand sagen würde: Geht mal zum Mars", feixt ein Township-Bewohner. Wasser und Seife sind in den Slums auch nicht garantiert: "Wenn der Erreger in den Squattercamps ankommt", sagt ein südafrikanischer Arzt, "dann Gnade uns Gott."

Immer mehr Township-Bewohner begeben sich derzeit aufs Land, um das Ausgangsverbot für sich abzumildern: So bringen sie das Virus möglicherweise auch noch in die ärztlich völlig unterversorgte Provinz. Alles weist darauf hin, dass für Cyril Ramaphosa der Lockdown ein riesiges Risiko ist. Für sein Land steht jedenfalls die Zukunft auf dem Spiel. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 26.3.2020)