Albin Kurti steht – zumindest vorerst – vor einer ungewissen Zukunft. Am Mittwoch stürzte die von ihm geführte Regierung.

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Prishtina – Viele Bürger in Prishtina trommelten auf Töpfe oder Eisenstangen auf ihren Balkonen, um den Sturz der Regierung zu verhindern. Gäbe es keine Ausgangssperren wegen der Coronavirus-Krise, wären die Straßen der kosovarischen Hauptstadt am Mittwoch wahrscheinlich voll von Demonstranten gegen die alten Kader gewesen. Denn trotz der Warnung der Gesundheitsbehörden, dass eine Zusammenkunft der Parlamentarier zu gefährlich sei, wurde die Koalition der Vetëvendosje (VV) unter Premierminister Albin Kurti mit der Demokratischen Liga (LDK), die seit Februar in Amt ist, dort Mittwochnacht per Misstrauensvotum gestürzt.

Offiziell ging es um einen Streit, ob der Ausnahmezustand ausgerufen werden sollte oder nicht. Präsident Hashim Thaçi, der größte innenpolitische Gegner von Kurti, versuchte dies zu erreichen, weil er als Staatschef dadurch mehr Durchgriffsrechte bekommen wollte. Die alten Kader der LDK, die sogenannte "Dinosaurier-Fraktion", folgten dem Präsidenten, weil sie selbst die Koalition verlassen wollen.

"Erfolg" für Trump

Das hat allerdings nichts mit der Coronavirus-Krise oder Maßnahmen dagegen zu tun, sondern mit dem US-Gesandten für Kosovo und Serbien, Trumps Geheimdienstdirektor Richard Grenell. Dieser hat die "Dinosaurier-Fraktion" der LDK auf seine Seite gezogen. Grenell will gemeinsam mit Thaçi und dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić ein Abkommen zwischen Serbien und dem Kosovo durchziehen. Seine Aufgabe ist es nämlich, für seinen Chef Trump einen außenpolitischen "Erfolg" vor den US-Wahlen zu liefern.

Kurti ist allerdings gegen einen solchen intransparenten Deal, und wurde offenbar deswegen ausgehebelt. Nach dem Misstrauensvotum sagte er, dass diejenigen Kosovaren die sich in Washington mit Grenell getroffen hätten, mit viel Macht "von oben" ausgestattet worden seien – damit spielte er auf den Ex-LDK-Außenminister Skender Hyseni an, der vor zwei Wochen mit dem Trump-Gesandten zusammen gekommen war und offenbar danach das Koalitionsende eingeleitet hatte.

Legitimität von unten

"Legitimität kommt aber von unten, nicht von oben", fügte Kurti hinzu. Es sei bereits seit geraumer Zeit geplant gewesen, die Regierung zu beenden. Der frühere langjährige Oppositionsführer meinte zudem, dass er den "geheimen Deal zwischen Thaçi und Vučić" nicht vorliegen habe. Allerdings hätte er diesen sofort veröffentlicht, wenn er Zugang dazu gehabt hätte.

Auch Parlamentspräsidentin Vjosa Osmani von der LDK, die mit Kurti gemeinsam die Koalition geschmiedet hatte, und die für Aufbruch und Reformen steht, zeigte sich Mittwochnacht sehr enttäuscht. "Mit diesem Votum geben wir den Willen der Bürger zu der von ihnen geforderten Veränderung auf", sagte sie. Osmani stimmte gegen den Misstrauensantrag. Er erhielt dennoch 82 Stimmen der insgesamt 120 Abgeordneten.

Kasperln müssen tanzen

"Weil manche sehr umstrittene Politiker im Westen innenpolitische und finanzielle Interessen in der Balkanpolitik sehen, müssen einige Kasperln hier im Kosovo tanzen", analysiert der Politologe Arben Hajrullahu von der Universität Prishtina. Es sei zu erwarten, dass nun bald eine andere Regierung unter Thaçis de-facto-Kontrolle gebildet werde. Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die Schweiz haben sich indes gegen den Sturz der kosovarischen Regierung gestellt. Berlin und Paris äußerten Besorgnis.

"Die Einmischung der USA in die Innenpolitik des Kosovo ist nichts Neues. Neu ist, dass sie sich eindeutig und recht offen gegen die Regierung aussprechen und Präsident Thaçi unterstützten", sagt der Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien der Universität Graz, Florian Bieber. "Neu ist ebenfalls, dass hierbei die USA und die EU offen auf anderen Seiten stehen. Der Bruch der westlichen Einheit gegenüber dem Kosovo hat sich schon länger angedeutet und ist hierdurch jedoch offen vollzogen", sagt Bieber zum STANDARD.

Unbeliebter Präsident

Die USA beziehungsweise Grenell und Trump manövrierten sich aber dadurch eher ins Abseits, lautet seine Einschätzung. "Denn die Glaubwürdigkeit und Beliebtheit von Thaçi ist gering, und indem sie alles auf ihn setzen, werden die USA unter Trump wohl eher an Einfluss einbüßen, egal wie der Machtkampf kurzfristig ausgeht", so Bieber. Der Historiker und Politikwissenschafter meint, dass die derzeitigen Vorgänge für die Demokratie "natürlich zunächst schädlich" seien. "Aber im Gegensatz zu vor einigen Jahren, als die USA ungestört in Wahlen eingreifen konnten, ist das Selbstbewusstsein im Kosovo nun größern und somit kann es zu einer Reifung beitragen."

"Die Spaltung zwischen Europäern und Amerikanern nutzt in erster Linie Russland", analysiert Hajrullahu. Die überwiegende Mehrheit der Kosovaren sei zudem gegen den Sturz der Regierung. "Die Leute fühlen sich betrogen, verraten und alleingelassen. Verantwortlich ist dafür in erster Linie Präsident Thaçi und seine Anhänger in der LDK. Er agiert nach dem Motto Divide et impera, so Hajrullahu.

Tendenz zu Autoritarismus

Viele Kosovaren machten sich angesichts der sich überstürzenden Ereignisse und der Vorgangsweise von heimischen wie internationalen Politikern und Honorardiplomaten Sorgen um die Demokratie, gibt der Wissenschafter zu Bedenken. "Es gibt zudem immer mehr Tendenzen zu autoritären Zügen. Manche versuchen die Pandemie auszunutzen, um das durchzuziehen." Thaçi forderte etwa die Polizeikräfte auf, die Maßnahmen der Regierung zur Bekämpfung der Covid-19-Krise nicht einzuhalten. Er behauptete, dass diese verfassungswidrig seien.

Premier Kurti wies darauf hin, dass sie von Gesundheitsexperten empfohlen worden seien und dass alles rechtskonform ablaufe. Die Regierung verdoppelte indes die Sozialhilfezahlungen für einen Monat. "Wir werden unsere Arbeit fortsetzen, um diese Situation besser zu bewältigen, unabhängig von den Maßnahmen des Präsidenten, bis wir überzeugt sind, dass wir sicher und gesund herauskommen werden", sagte Kurti.

"Mann der Amerikaner"

Thaçi versucht sich im Kosovo und im Ausland als "Mann der Amerikaner" darzustellen. Er ist allerdings wegen seiner Kriegsvergangenheit erpressbar. Es ist nicht auszuschließen, dass er vor dem kosovarischen Sondergericht für Kriegsverbrechen in Den Haag landet. (Adelheid Wölfl, 25.3.2020)