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Das Smartphone wird immer mehr zum Zentrum der Maßnahmen gegen Corona. Datenschützer zeigen sich besorgt.

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Ungeachtet der Kritik von Datenschützern und der Opposition liefert der Mobilfunker A1 weiterhin anonymisierte Bewegungsdaten seiner Kunden an den Krisenstab der Regierung. Dieser leitet die Daten an Stadtverwaltungen weiter. Dies bestätigte Unternehmenssprecher Michael Höfler dem STANDARD. Die Handydaten sollen Auskunft darüber geben, ob die Ausgangsbeschränkungen eingehalten werden. Die Grazer Stadtverwaltung beobachtet etwa damit die Besucherfrequenz in der Innenstadt und auf dem Schloßberg. Neben Graz werden die Bewegungsströme auch in Wien, Linz, Innsbruck, Amstetten, Kapfenberg und anderen Städten erhoben und ausgewertet. A1 musste sich vergangene Woche viel Kritik für die Weitergabe der Informationen an die Regierung anhören, da seine Kunden erst aus den Medien davon erfahren haben. Die Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und Neos kritisierten das "intransparente Vorgehen" und warnten vor möglichen Gundrechtseingriffen.

Für den Datenschützer Max Schrems ist klar, dass sich "Anonymisierung und Tracking prinzipiell ausschließen". A1 betont in Bezug auf seine Bewegungsstromanalysen hingegen, dass sich anhand der übermittelten Daten keinerlei Rückschlüsse auf den einzelnen Benutzer ziehen lassen. Jedes Handy bekomme für das Tracking eine zufällig generierte Nummer zugewiesen, die nach 24 Stunden wieder frisch vergeben werde. Günther Leissler, Experte für Datenschutzrecht und Vorsitzender der AG Datenschutz im Österreichischen Rechtsanwaltskammertag (Örak), erachtet die Datensammlung des Mobilfunkers "als etwas, das durchaus vertretbar ist" – solange die Daten anonymisiert würden. In der Corona-Krise finde beim Datenschutz ein Paradigmenwechsel statt, der das Allgemeinwohl in den Vordergrund rücke.

Regierung erwog Handyüberwachung

Die Frage, ob die Regierung vermehrt mit Handydaten arbeiten soll oder nicht, ist noch ungeklärt: Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärte bei einer Pressekonferenz dazu, dass man noch dabei sei zu prüfen, wie andere Länder im Zusammenhang mit "Big Data" mit der Krise umgehen. Auf Nachfrage erklärte er, dass Gespräche mit dem Roten Kreuz und Unternehmen am Laufen seien. Man arbeite an Ideen, "die in unsere Demokratie passen". Es brauche Zeit, um Details zu präsentieren.

Erwogen wurde jedenfalls eine Standortüberwachung via Funkzellenabfragen, wie ein älterer Entwurf des Coronavirus-Gesetzes, der dem STANDARD vorliegt, suggeriert – in den Erläuterungen war die Rede davon, dass Behörden auf Standortdaten der Mobilfunker von gefährdeten Personen zugreifen können sollen. In der finalen Version wurde das verworfen, wohl auch aufgrund der fehlenden technischen Möglichkeiten. Diese Daten, die von Funkzellen stammen würden, sind äußerst ungenau.

Das Rote Kreuz, das Kurz explizit in Bezug auf Big Data erwähnte, engagiert sich selbst in dem Bereich: Am Mittwoch hat man die App "Stopp Corona" gestartet. Sie soll als eine Art Kontakttagebuch eingesetzt werden, Nutzer können sich mit Personen, mit denen sie länger in Kontakt stehen, verbinden. Gerry Foitik, Bundesrettungskommandant des Roten Kreuzes, bezeichnet das als eine Art "digitales Händeschütteln".

Dadurch werden Smartphone-Informationen ausgetauscht, falls jemand später Symptome entwickelt oder positiv getestet wird, erhalten all jene, die in Kontakt mit der Person standen, eine Benachrichtigung.

Nicht anonym

Anonymes Tracking ist allerdings nicht möglich, wie der Datenschützer Schrems erläutert: Eher erhalte man eine ID-Nummer zugewiesen. Demnach handelt es sich eher um eine Pseudonymisierung. Auch erfolge die Information zwar anonymisiert, die Verarbeitung beim Roten Kreuz selbst sei das aber "selbstverständlich nicht", wie die Datenschutzexpertin Iwona Laub von der Grundrechts-NGO Epicenter Works kritisiert. Schließlich werden Krankmeldung, Nachname und Handynummer verarbeitet. "Gerade vertrauenswürdige Institutionen wie das Rote Kreuz, das Teil des Krisenstabs ist, müssen hier vorbildlich agieren."

Auch die Regierungschefs der EU überlegen aktuell, die Überwachung auszubauen. So wird angedacht, dass Personen, die innerhalb der Mitgliedsstaaten reisen, das nur dürfen, wenn sie eine Tracking-App installieren. Manche asiatische Länder und besonders China gehen bei der Auswertung persönlicher Daten noch deutlich weiter. Die chinesischen Technologie-Riesen Alibab und Tencent haben Handy-Anwendungen entwickelt, die auf Basis von Bewegungs- und Interaktionsprofilen das Risiko einer Infizierung mit dem Virus bewerten und farblich darstellen. In mehreren Städten müssen sich Menschen mittlerweile mit dieser App "ausweisen", um etwa die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen zu dürfen. Standortdaten werden mit anderen Informationen kombiniert. In Polen werden etwa mithilfe einer Smartphone-App unter Quarantäne gestellte Menschen kontrolliert. Bei Missachtung der Vorgaben drohen Geldbußen oder Polizeibesuche.

EU-Datenschutzbeauftragter warnt

Der EU-Datenschutzbeauftragte Wojciech Wiewiórowski hat bei der Nutzung von Handydaten im Kampf gegen die Corona-Pandemie zur Vorsicht aufgerufen. Die Nutzung persönlicher Daten könne hier nützlich und sinnvoll sein, "dieselben Daten können aber auch für sehr undemokratische Zwecke genutzt werden", sagte Wiewiórowski. Jegliche Verwendung zur Bewältigung der Krise müsse verhältnismäßig und regelkonform sein. "Solange anonymisierte und zusammengefasste Daten genutzt werden, besteht aus datenschutzrechtlicher Sicht kein Problem", sagte er dazu. Denn streng genommen handle es sich nicht um persönliche Daten.

Die deutsche Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) lehnt eine Ortung von Corona-Kontaktpersonen "zum jetzigen Zeitpunkt" ab. Bevor es "tiefgreifende Einschnitte" in Bürgerrechte gebe, müsse deutlich werden, dass dies "absolut zwingend" erforderlich sei, sagte Lambrecht.

Einen Vorschlag bringt Anke Domscheit-Berg, die netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion: So sollen Gesundheitsämter Aufenthaltsorte von Corona-Infizierten in eine Onlinekarte eintragen, die nur auf dem eigenen Handy mit den eigenen Bewegungsdaten abgeglichen wird. Anhand einer "Corona-Ampel" sollen User dann via Pushbenachrichtigung informiert werden, ob sie sich an einem gefährdeten Ort aufgehalten haben. Mit roter Farbe, wenn das zu den gefährlichsten Zeiten geschehen ist. (Markus Sulzbacher, Muzayen Al-Youssef 25.3.2020)