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EU-Ratspräsident Charles Michel in einer Videokonferenz.

Foto: Reuters/Leqocq

Das hat es, soweit erinnerlich, auch noch nie gegeben: Am Donnerstag finden ein EU-Gipfel und eine Plenarsitzung des Europäischen Parlaments gleichzeitig statt. Die Coronavirus-Krise macht es möglich.

Die Sitzung des Parlaments findet sogar physisch im Spaak-Gebäude in Brüssel statt. Allerdings dürften nur wenige Dutzend Abgeordnete im Saal sein: jene, die seit Wochen in der EU-Hauptstadt ausharren. Das Parlament hat seinen Betrieb wie auch die Kommission und der Ministerrat auf das Nötigste heruntergefahren. Zehntausende Beamte und Mitarbeiter arbeiten von zu Hause aus.

Debatten aus der Ferne

Die Plenarsitzung wird daher wie auch das Treffen der Staats- und Regierungschefs per Videokonferenz und E-Mail-Verkehr abgewickelt. Die Administrationen mussten sich ausgeklügelte Methoden ausdenken, um Debatten aus der Ferne und Abstimmungen zu ermöglichen. Auf virtuellen "Zuruf" wären Beschlüsse juristisch heikel. Es gibt das Übersetzungsproblem bei zwei Dutzend Sprachen. Abgeordnete können nun per E-Mail abstimmen – in einem zertifizierten Verfahren.

So werden sie zum Beispiel jene Finanzhilfen im Umfang von 25 Milliarden Euro aus den Kohäsions- und Strukturfonds formell absegnen, die ein EU-Gipfel vor zwei Wochen vorgab.

Für die Staats- und Regierungschefs wird das der dritte EU-Gipfel in kurzer Zeit sein, den sie per Videokonferenz abhalten. Nur der Ständige Ratspräsident Charles Michel und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sind physisch in Brüssel. Wie es aus Diplomatenkreisen im Vorfeld hieß, stehen auf der Tagesordnung naturgemäß die Corona-Krise und die Wirtschaftshilfe im Vordergrund. Die Kommission will das Funktionieren des Binnenmarkts zur Sprache bringen. Das sei der Schlüssel, um ein starkes Einbrechen der Wirtschaft abzuwenden. Damit verbunden ist die Problematik, ob und wie man mit den seit zwei Wochen hektisch eingeführten nationalen Grenzkontrollen im Schengenraum umgeht.

Weiters auf der Agenda: Die Regierungschefs werden die Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien und Albanien beschließen, so wie es die Europaminister am Dienstag vorgeschlagen haben.

Die Themen im Einzelnen:

  • Coronavirus: Die Aussprache wird vor allem dazu dienen, dass die Regierungschefs sich auf denselben Wissensstand bringen, was sich in ihren Ländern tut. Italien und Spanien werden die Partner dringend um Hilfe bitten, etwa bei der Übernahme von Intensivpatienten. Die Kommission soll die Maßnahmen besser koordinieren.

  • Wirtschaftshilfe: Den Regierungschefs liegen konkrete Vorschläge vor, wie man den Absturz der Wirtschaft verhindert. Die Kommission setzt die Regeln in Sachen unerlaubter Staatshilfen aus. Regierungen können ihre Wirtschaft unlimitiert stützen. Die Finanzminister wollen 410 Milliarden im Eurorettungsfonds für Corona-Hilfen freimachen. EZB-Chefin Christine Lagarde wird den Chefs einen Lagebericht geben.

  • Binnengrenzkontrollen: Der Gipfel dürfte sich auch damit befassen, ab welcher Zeit man an Erleichterungen der Anti-Corona-Maßnahmen denken kann und wann die nationalen Grenzkontrollen wieder langsam abgebaut werden könnten. Die Kommission weist darauf hin, dass das Funktionieren des freien Warenverkehrs absolut notwendig ist, um die Versorgung in Europa zu sichern. Die Regierungschefs werden das bestätigen, für Lebensmittel und wichtige Güter sollen "grüne Korridore" geschaffen werden. Dass die Grenzkontrollen vor dem Sommer wieder ganz aufgehoben werden könnten, glaubt in Brüssel niemand. Die EU-Außengrenzen sind seit Dienstag geschlossen.

    Wahrscheinliches Szenario: Ab Mai beginnt man, auch den freien Personenverkehr wieder langsam zuzulassen. Personen, bei denen eine berufliche Notwendigkeit besteht und die Gesundheitsatteste vorweisen können, sollen frei zwischen EU-Staaten reisen können. Angedacht ist, dass man sich dafür freiwillig einem "Tracking" unterzieht, sodass Behörden Reisende überprüfen können. (Thomas Mayer, 25.3.2020)