Als Rudolf Anschober am 7. Jänner dieses Jahres sein Amt als neuer Sozialminister des Landes antrat, wusste er noch nicht, welche ungeheure Herausforderung sich gerade über ihm zusammenbraute. "Dass wir Grünen die Sozialagenden übernehmen würden, war nach den Sondierungsgesprächen mit der ÖVP thematisch eine ausgemachte Sache", erinnert sich Anschober. Als "der Werner" ihn gebeten hatte, sich um Soziales, Gesundheit, Pflege, Konsumentenschutz in Österreich zu kümmern, zögerte er, obwohl es für ihn thematisch zum Teil Neuland war, nicht lange. "Das war eine Selbstverständlichkeit."

Kurze Eingewöhnung

In den ersten Wochen seiner Amtszeit lief es noch so, wie er sich das vorgestellt hatte: "Meine Aufgabe besteht darin, alle handelnden Personen an einem Tisch zusammenzubringen, einen Dialogprozess zu starten und Netzwerke zu schaffen", definiert er sein politisches Selbstverständnis. Seine erste Pressekonferenz fand im St. Anna Kinderspital statt, er hatte Krebsorganisationen und Betroffene eingeladen.

Rudolf Anschober ist Netzwerker. In der Corona-Krise hält er viele Fäden in der Hand.
Foto: Katsey

Zur zweiten lud er in ein Pflegeheim. Die Woche davor habe er sich ein Bild von der Pflegesituation in Österreich gemacht und ohne Kameras mit Pflegenden und Gepflegten gleichermaßen gesprochen – das sei unglaublich berührend gewesen, sagt er. Seine Quintessenz: "Die fehlende Zeit, die auf allen Seiten beklagt wurde. Da müssen wir was tun." Ein gutes Leben für die Menschen in einer alternden Gesellschaft verlange neue Konzepte: "Es geht um Entbürokratisierung und darum, eine Kultur des Vertrauens zwischen den Generationen aufzubauen. Und natürlich um soziale Absicherung."

Brückenbauen

Doch plötzlich brach sie los, die Corona-Krise. Zuerst ging es noch um Tests, dann um exponentielles Wachstum der Infektionszahlen. Schließlich ging es darum, die Versorgung der schwer an Covid-19 Erkrankten sicherzustellen. Schulschließungen wurden verordnet, und letzten Endes folgte der komplette Shutdown, das nun langsam wieder aufgehoben wird.

"Einer meiner Vorzüge ist es, dass ich in Krisensituationen tatsächlich sehr ruhig werde", sagt Anschober. Kein Auftritt, bei dem im Zusammenhang mit Entscheidungen nicht das Wort "faktenbasiert" genannt wurde. Und ein paar Mal fehlten die Fakten. Es gab sie ganz einfach nicht

Anschober und Innenminister Karl Nehammer, in den Sondierungsverhandlungen die härtesten Gegner, standen mit einem Schlag in großer Einigkeit vor der Kamera. Neue Verordnungen erlassen, Taskforces zwischen den Ministerien gründen, die Länder gemeinsam ins Boot holen: Dieses Brückenbauen ist Anschober gelungen. Eine seiner Stärken ist es, Fehler auch zugeben zu können. "Da müssen wir nachbessern", sagte er dann und holt die Experten zusammen.

Und niemals vergisst er, sich als Mitglied der Europäischen Union zu präsentieren. Anschober ist kein polternder Charakter, vermittelt trotz der allgemeinen Panik in der Bevölkerung zu jedem Zeitpunkt den Eindruck, die Situation so gut es eben möglich ist in Griff zu haben.

Politische Karriere

Rudolf "Rudi" Anschober ist kein lauter Mensch. Eher im Gegenteil. Im Gegensatz zu seiner Vorgängerin Beate Hartinger-Klein hatte er vor, seine Rolle zurückhaltend, respektvoll und sehr empathisch anzulegen. Der 1960 in Wels geborene Oberösterreicher bringt lange Erfahrung aus der oberösterreichischen Landesregierung mit.

Die politische Karriere des ausgebildeten Volksschullehrers begann 1986 als Sprecher der Grünen Alternative Oberösterreich. Ein paar Jahre war Anschober journalistisch tätig, 1990 schließlich zog er als Verkehrs-, Sicherheits- und Atomsprecher in den Nationalrat ein.

Die weiteren Stationen seiner Laufbahn: Klubobmann der Grünen in Oberösterreich, seit 1997 Abgeordneter im oberösterreichischen Landtag, ab 2003 Mitglied der Landesregierung, zuständig für Umwelt, Wasser und Lebensmittel. Ab 2015 kam Integration dazu. Mit der Initiative "Ausbildung statt Abschiebung" bildete er eine überaus erfolgreiche Opposition gegen die Asylpolitik – eine Positionierung, von der er auch in seiner Rolle als Minister überzeugt bleibt.

"Mein Grundprinzip ist: Wenn ich an der Donau entlanggehe und einen ertrinkenden Menschen sehe, dann hüpf ich, wenn ich schwimmen kann, ins Wasser und versuche ihn zu retten. Das ist auch im Mittelmeer nicht anders", ließ er im Zuge der Diskussion um die Wiederaufnahme der Seenotrettung vor der Corona-Krise wissen.

Als Ausgleich

Sars-CoV-2 zeigt den Politikern rund um den Erdball gerade, wie wichtig Gesundheits- und Sozialpolitik für eine Gesellschaft ist. Wenn die Krise abflaut, könnte das Anschober vielleicht dabei helfen, die vielen Lücken in unserem System zu stopfen. Er will sich um eine bessere Pflege kümmern und die Kindergesundheit ins Zentrum seiner Arbeit stellen.

Er will eine Generaldirektion für öffentliche Gesundheit schaffen – ein Amt, das Hartinger-Klein abgeschafft hat und das in der Corona-Krise gerade fehlt. Auch die Effizienzsteigerungen im Gesundheitssystem werden neu zu bewerten sein. Anschober will auch Patientenvertreter in die Gremien holen – ihre Stimmen seien seiner Einschätzung nach bisher zu wenig repräsentiert.

"Einer meiner Vorzüge ist es, dass ich in Krisensituationen tatsächlich sehr ruhig werde." Rudolf Anschober
Foto: Katsey

Und obwohl er derzeit Tag und Nacht arbeitet, die Pläne der Bundesregierungen auf allen medialen Kanälen erklärt und nicht müde wird, zu betonen, dass er "Social Distancing" als Chance für die Solidarisierung der Menschen sieht, achtet er auf sich.

Die Gründe spricht er ganz offen an: Im Jahr 2012, Anschober war Landesrat, rutschte er in eine Krise und fiel wegen eines Burnouts drei Monate aus. "Seit damals weiß ich, wie wichtig Bewegung ist", sagt er. Nach dem Aufstehen macht er eisern jeden Tag Qigong. Dann geht er mit seinem Hund Agur spazieren. "Das steht jeden Tag als Termin im Kalender", lacht er.

Kaum Zeit

Wenn Anschober in der Früh nach Brüssel muss und der weiße Labrador deshalb schon um vier Uhr früh die Runde am Donaukanal antreten muss, "schaut mich der Hund müde an". Und wenn die große Krise vorbei ist, wird er auch wieder Zeit für seine Lieblingsbeschäftigung haben: das Kochen.

Ein ideales Wochenende ist für ihn eines, das er im Mühlviertel verbringen kann. Dazu kommt er jedoch in der Corona-Krise selten. Deshalb ist er froh, dass Hund Agur gerne mit der U-Bahn fährt. Anschober ist sich sicher: Die Krise wird vorübergehen. Und zwar mit vereinten Kräften. (Karin Pollack, CURE, 18.4.2020)