Forscher der TU Wien erforschen die Wirksamkeit der Maßnahmen gegen das neuartige Virus.

Wien – Im Kampf gegen die Corona-Pandemie wurden weitgehende Maßnahmen gesetzt, um die Zahl der sozialen Kontakte möglichst zu reduziert. Die große Frage dabei ist, ob das ausreicht, um die Ausbreitung von Covid-19 entscheidend zu verlangsamen. Neue Simulationsrechnungen von Wiener Forschern zeigen nun, dass eine noch drastischere Einschränkung der Kontakte kaum zusätzlichen Nutzen hätte. Dieser Aussage widerspricht allerdings der Mathematiker Norbert J. Mauser vom Wolfgang-Pauli-Institut in Wien vehement.

In China oder Italien wurden zur Eindämmung der Epidemie noch härtere Maßnahmen als in Österreich verhängt, etwa generelle Ausgehverbote oder weitgehende Betriebsschließungen. "Unsere Simulationsrechnungen zeigen allerdings ganz klar, dass ab einem gewissen Punkt eine weitere Verschärfung keinen spürbaren Nutzen mehr bringt", erklärte Niki Popper, Leiter des Forschungsteams der Technischen Universität Wien und des TU-Spin-offs DWH GmbH, am Donnerstag in einer Aussendung.

Nicht sofort lockern

Das Forschungsteam analysierte nun auch, wie die Maßnahmen wieder gelockert werden könnten. "Eines ist klar: Sofort wieder zum gewohnten Alltag zurückzukehren wäre jetzt falsch", erklärte Popper. Die Wissenschafter gehen davon aus, dass bei Beibehaltung der aktuellen Maßnahmen der Höhepunkt der Krankheitsfälle bald erreicht wird und die Zahl der Infektionen dann zurückgeht. "Wenn die Kontaktzahl aber dann sofort wieder auf das früher übliche Niveau ansteigt, dann wird auch die Zahl der Krankheitsfälle sehr rasch wieder zunehmen."

Eine durch ein übereiltes Ende der Maßnahmen verursachte zweite Corona-Welle könnte den Simulationen zufolge innerhalb kurzer Zeit zu deutlich höheren Krankheitszahlen führen als derzeit. Daher seien gewisse Vorsichtsmaßnahmen noch längere Zeit notwendig.

Für die Zukunft haben die Wissenschafter drei Szenarien berechnet: Im ersten Fall gingen sie davon aus, dass die derzeitigen Maßnahmen – etwa mit einer Schließung der Schulen und etwa eines Viertels der Arbeitsstätten sowie einer Reduktion der Freizeitkontakte um die Hälfte – voll beibehalten würden. Dann würde die Zahl der Erkrankungen über den Sommer kontinuierlich zurückgehen.

Einfluss der Kontaktreduktion auf die Epidemiekurve.
Grafik: TU Wien / dwh

Weiterhin Einschränkungen

Ebenso kontinuierlich zurückgehen würden die Krankheitszahlen im zweiten Szenario: Dieses geht davon aus, dass nach Ostern die Arbeitsstätten wieder geöffnet, die Schulen aber geschlossen und die Freizeitkontakte reduziert bleiben. Der Rückgang der Erkrankungen wäre dann langsamer, aber das Gesundheitssystem käme nicht an seine Belastungsgrenzen.

Im dritten Szenario gingen die Forscher davon aus, dass die Arbeitsstätten nach Ostern und die Schulen ab 4. Mai, also zwei Wochen vor der Matura, wieder geöffnet werden. Weiterhin gäbe es aber nur die Hälfte der Kontaktanzahl in der Freizeit. In diesem Fall kommt es den Berechnungen zufolge zwar nicht zu einem explosiven Anstieg der Krankheitszahlen, sie würden aber trotzdem steigen und das Niveau der ersten Infektionswelle übertreffen.

Popper schränkt ein, dass langfristige Prognosen "immer mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind". Deshalb sei es wichtig, die Modelle Woche für Woche weiter zu verbessern und an das neueste Datenmaterial anzupassen.

Mathematiker widerspricht vehement

Der Wiener Mathematiker Nobert J. Mauser (START-Preisträger 1999), der am Mittwoch ein eigenes Modell zur Lage der Corona-Maßnahmen in Österreich veröffentlicht hat, hält von den Schlussfolgerungen aus den Simulationen der TU-Wien-Forscher allerdings wenig. "Ich halte so eine Aussendung für unverantwortlich und wissenschaftlich nicht belegbar", sagt der Direktor des Wolfgang-Pauli-Instituts in Wien.

Seiner Ansicht nach könnten die Maßnahmen sehr wohl sinnvoll nachgeschärft werden, ohne zusätzliche Opfer der Bevölkerung und der Wirtschaft. So wäre etwa eine Maskenpflicht seiner Ansicht nach durchaus sinnvoll. Außerdem sollten einige Regeln im Alltag eindeutiger kommuniziert werden. (red, APA, 26.3.2020)