Musste sich die Anerkennung durch das Publikum erst erarbeiten: Pina Bausch.
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Über Pina Bausch, die demnächst ihren 80. Geburtstag gefeiert hätte, ist bereits so viel geschrieben worden, dass nur noch ein "ultimatives" Buch gefehlt hat. Dem kommt jetzt ein Werk der Hamburger Performancetheoretikerin Gabriele Klein (63) sehr nahe. Erfreulicherweise erscheint Kleins Pina Bausch und dasTanztheater – Die Kunst des Übersetzens trotz seines wissenschaftlichen Anspruchs nicht als Monster, das sich nur Fachleute nach kennerhaftem Durchblättern als edlen Staubfänger ins Regal stellen.

Ganz im Gegenteil ist dieses Buch so angelegt, dass es sich gut dafür eignet, alle Kulturinteressierten in Bauschs Kosmos einzuführen, und trotzdem Abschnitte enthält, die informative Nahrung auch für ausgefuchste Spezialisten bieten. Ein solches vor lauter Quellenrecherche sprudelndes Werk war für die Autorin nicht einfach nur mit Leidenschaft zu bewältigen. Es brauchte zusätzlich ein ordentlich finanziertes Forschungsprojekt und Mitarbeiterinnen, die sich dafür gewaltig ins Zeug legen. Und darauf konnte Gabriele Klein, zusammen mit Gabriele Brandstetter die führende deutsche Tanzwissenschafterin, zählen.

Im Zusammenhang dokumentiert

Pina Bausch und das Tanztheater liest sich genau dort flüssig, wo es für ein breiteres Publikum interessant wird – in jenen Passagen, die von der Biografie und dem Werk der genialen Choreografin handeln. Ein spezieller Bonus dabei ist, dass Klein Pina Bauschs Schaffen in zeitgeschichtliche Zusammenhänge stellt und so exemplarisch dokumentiert, dass auch der Tanz nicht in einer hermetischen Blase entsteht.

Außerdem wird deutlich, wie die sehr eigenwilligen Stücke der 2009 verstorbenen Erfinderin des deutschen Tanztheaters zustande gekommen sind, was es mit ihrer verschworenen Wuppertaler Compagnie auf sich hat und wie Bauschs legendärer Ruf überhaupt zustande gekommen ist. Dabei lernt das Lesepublikum etliches über die Eigenarten der deutschen Kultur ab den 1960ern. Das Land hat sich seine Tanzikone einer neuen Zeit nach den NS-Verbrechen mit Fleiß erarbeitet. Inklusive der obligaten Kehrtwende, denn erst nach gründlicher Schmähung erfuhr die Künstlerin Respekt und schließlich die Erhebung zur weltweit bekannten Kultfigur. Dementsprechend widmet Klein der Rezeption von Bauschs Werk ein ganzes Kapitel.

Wim Wenders und Angela Merkel?

Es gibt sogar Platz für ironische Details. Unter den großzügigen Illustrationen des in ein grünes Gras-Umschlagbild gebundenen Bandes findet sich etwa ein skurriles Foto, das Wim Wenders, den Regisseur des Films Pina, mit seiner Frau Donata 2011 bei der feierlichen Premiere zeigt: überbelichtet flach zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Präsident Christian Wulff.

Etwas steifere Brisen wehen aus zwei Kapiteln, in denen über Theorie und Methoden des Herangehens an die Kunstwerke aus tanzwissenschaftlicher Perspektive berichtet wird. Das sind Terrains vor allem für Spezialisten: Auf Basis einer kulturtheoretischen Auseinandersetzung mit sozialen Aspekten von Körperpraktiken werden hier ausgewählte Solowerke zerlegt. Ende Mai soll auch die englische Übersetzung fertig sein. Sie wird ebenfalls beim Bielefelder Verlag Transcript erscheinen: unter dem Titel Pina Bausch’s Dance Theater – Company, Artistic Practices and Reception. Der pfiffige Raseneinband wird da leider durch eine normale Tanzszene ersetzt sein. (Helmut Ploebst, 27.3.2020)