Eigentlich wollte ich hier anders einsteigen. "Jo Beom-Pal ist ein Trottel, das merkt man sofort." Das wäre ein schöner Einstieg gewesen. Dann ein paar Witze über Netflix-Serien, ein Übergang zu The Mentalist, irgendwas übers Kochen, die Plattensammlung und Videogeburtstage. Ein bisschen lustig, immer schön locker, immer schön flockig. Zwischendurch ein wenig Ernsthaftigkeit. Ein Kolumnchen über den "Krisenalltag" hier in Wien-Neubau. (Die Anführungszeichen müssen drin bleiben, liebe Korrektur.)

Der Saxofonist John Coltrane hängt ein bisschen mahnend und auch etwas schief im Homeoffice.
Foto: Hagenauer

Manchmal wache ich morgens mit dem Gefühl auf, dass alles nur ein Traum sei. Das sind gute, wenn auch kurze Momente. Die Frau, die mich sonst aushält, hält mich zurzeit in der Früh nur selten aus: Der Schlaf ist unruhig, Zähneknirschen, Schnarchen, Herumwälzen. Denn, wenn ich ganz ehrlich bin, mache ich mir Sorgen. Sehr viele sogar. Das Unterbewusstsein ist zugemüllt damit, mit Sorgen um meine Familie, Sorgen um die Familie der Frau, die mich aushält, Sorgen um die Zukunft, Sorgen um die Gesellschaft. "Aber hey, es geht dir doch gut", knallt mir der Verstand entgegen. Der Egoismus hilft und beschämt zugleich. Sich am Unglück anderer aufzurichten ist schäbig. Von "Ich will, dass es mir gutgeht" über "Ich will, dass es uns gutgeht" zu "Make America Great Again" geht es schneller, als man denkt.

Die Gewohnheiten haben sich geändert. Jetzt schon. Denn gerade Nachrichten und (soziale) Medien sind Wind in der Sorgenmühle: Eilmeldungen mit neuen Zahlen, Zukunftsdystopien, Berichte über die humanitäre Katastrophe in Flüchtlingslagern, Einsamkeit, Arbeitslosigkeit, häusliche Gewalt. "Aber hey, dir geht’s doch gut." Danke, Verstand, danke, Egoismus. Dann lieber nach dem Homeoffice kochen und die 798. Folge The Mentalist. Es ist viel zu leicht. Empathie klingt dieser Tage wie eine griechische Göttin, das Starren auf den eigenen Tellerrand ist so leicht, so verlockend wie ein Druck auf die Fernbedienung oder eine Runde Quizduell.

Patrick Janes (Simon Baker) größte Sorge war lange der Serienkiller Red John.
Foto: EPA

Was bleibt also? Der Vorsatz, die Welt zu retten, ist nobel, aber gerade ein bisschen schwierig. Pinky als Partner in Crime fehlt auch. Ich versuche es also mit offensiver Wertschätzung: Wertschätzung für die Kollegen, die gute Geschichten schreiben, Wertschätzung für die Systemerhalterinnen und die Systemerhalter, Wertschätzung für die Frau, die mich aushält, und Wertschätzung für die Privilegien, die so oft unhinterfragt zum Jammern verleiten. Das ist nicht viel, ich weiß. "Hey, aber eigentlich geht’s dir ja ganz gut." Ja, aber kusch! (Andreas Hagenauer, 27.3.2020)