Zu den politischen Mythen der Zweiten Republik gehört die Annahme, in schweren Zeiten bedürfe es des Einverständnisses der starken politischen Kräfte in einer großen Koalition. Alleinregierungen (wie von 1966 bis 1983) oder "kleine Koalitionen" könnten große Probleme einfach nicht lösen. Daran stimmt, dass die ÖVP-SPÖ-Koalition 1945 bis 1966 den Wiederaufbau ganz ordentlich hinbekommen hat und die SPÖ-ÖVP-Koalitionen 1987 bis 2000 und 2006 bis 2017 den EU-Beitritt, die Wirtschafts- und die Eurokrise mit Anstand (wenn auch mit viel Streit) gemanagt haben.

Man darf aber aus diesen Beispielen keine falschen Schlüsse ziehen: Als während der Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre konservative Politiker und viele (Wirtschafts-)Kammerfunktionäre von einer Konzentrationsregierung mit Einbindung aller Parteien geträumt haben, waren die Wähler gar nicht begeistert. Sie haben Bruno Kreisky und dessen SPÖ stattdessen 1979 mit einer satten absoluten Mehrheit ausgestattet. Man kann der Meinung sein, dass Kreisky damals zu viele Schulden gemacht hat – das ist nach wie vor die gängige Geschichtsdeutung durch die ÖVP. Aber man kann nicht ernsthaft behaupten, dass dadurch die Gesellschaft oder das politische System auseinandergebrochen wären.

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Gesundheitsminister Rudolf Anschober erhalten von Umfragewelle zu Umfragewelle bessere Noten.
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Nun ist Sebastian Kurz kein Bruno Kreisky und seine Koalition eine mit ziemlich schmaler Mehrheit. Es ist aber festzuhalten, dass die Regierung ihre Sache gut macht – dieser Eindruck kommt jedenfalls bei einer Mehrheit der Bevölkerung an: Eine aktuelle Market-Umfrage zeigt, dass 70 Prozent der Wahlberechtigten meinen, Österreich habe das Coronavirus besser im Griff als andere EU-Staaten – ein Eindruck, den auch zwei Drittel der deklarierten Anhänger der Opposition teilen.

Kurz und der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober erhalten von Umfragewelle zu Umfragewelle bessere Noten. Auch von den SPÖ-Wählern vergibt derzeit mehr als jeder Zweite den beiden Regierungsmitgliedern jeweils ein "sehr gut".

Eingriffe in die Grundrechte

Es ist für die Oppositionsparteien nicht lustig, dass sie derzeit keinen Fuß auf den Boden bringen können. Krisenkommunikation und Krisenmanagement sind nun einmal Sache der Regierung – und eine beliebte Regierung wegen irgendwelcher Details zu kritisieren bringt keine Sympathiepunkte. Grundsätzliche Kritik an den verfassungsrechtlich durchaus problematischen Eingriffen in Grundrechte per Verordnung wäre zwar sehr berechtigt – würde aber auch nur von einer juristisch vorgebildeten Minderheit verstanden. Also jetzt einmal oppositionelles Stillhalten im Sinne einer Burgfriedenspolitik? Oder kann, soll, darf man sich der Regierung andienen? Sich gar einbinden lassen?

Es steht außer Zweifel, dass in den Oppositionsparteien Personalreserven stecken – politische Profis, die in der Krise wohl ebenfalls gute Figur machen würden. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner wäre beispielsweise als Ärztin, Gesundheitsmanagerin und Politikerin wahrscheinlich geeignet, weiter vorn zu stehen und ein bisserl Krisenmanagement zu machen.

Aber das ist eben nicht die Rolle, die die Opposition zu spielen hat. Sie hat zu kontrollieren und auf bessere Zeiten zu warten. Vielleicht auch auf Zeiten, in denen die jetzige Koalition erkennbare Fehler macht (was man sich inmitten der Krise nicht wünschen würde). Dann werden Alternativangebote umso dringender gebraucht. (Conrad Seidl, 27.3.2020)