Der behördlich verfügte Stillstand ging am Ende flott. Theoretisch hat man sich auch einiges an Hilfen für die betroffenen Betriebe überlegt. In der Praxis gibt es unzählige Stolpersteine.

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Bei den vom Betretungsverbot betroffenen und mit dem massiven Wirtschaftseinbruch konfrontierten Betrieben schwindet die Hoffnung auf Hilfe. Alles sollte zack, zack gehen, aber viele sind überzeugt: So wird das mit dem Helfen für alle Arten von Unternehmen eher nichts. Es hakt an vielen Ecken und Enden. Viel zu lange würde es dauern, bis Hilfen ausgezahlt würden, das würden viele Unternehmen nicht überleben, sei es bei der Kurzarbeit, wo das AMS nicht nachkomme, sei es in der Logistik, sei es beim Härtefallfonds für Kleinstunternehmer, dessen Zahlungen die Wirtschaftskammer abwickelt, sei es bei der Kreditvergabe, weil manche Banken zusätzliche Sicherheiten fordern. Die Liste der Mängel, die Betroffene attestieren, wird täglich länger. "Wir sind in einer Situation, wie wir sie noch nie gesehen haben, da müsse das Prüfen hintangestellt werden", so der Tenor von Steuerberatern, die für ihre Klienten Kreditgarantien, Haftungen oder Kurzarbeitsanträge bearbeiten.

Haftungen und andere Stolpersteine

Die Wiener Bilanzbuchhalterin Birgit Erdler sieht sich seitens ihrer Hausbank mit der Forderung nach einer Planungsrechnung für die erwarteten Umsatzrückgängen und Aufwendungen in den nächsten Monaten konfrontiert – und überfordert: "Ich bin kein Hellseher und weiß deshalb auch nicht, wie lang diese Situation anhält und wie lang es danach dauern wird, bis die Klienten wieder zahlungsfähig sind." Die kämpften nämlich selbst heftig, schildert Buchhalterin Erdler. Einer ihrer Klienten habe berichtet, dass die Bank von ihm bereits die Bilanz für das Jahr 2019 verlange. Die Saldenliste reiche nicht, um von der staatlichen Förderbank AWS Haftungen zu bekommen. "Das heißt, wir sollten jetzt in Windeseile eine Unmenge an Bilanzen erstellen, die derzeit nicht bezahlt würden. Auch besagter Klient hat mir mitgeteilt, dass er die ausstehenden Rechnungen während der Krise nicht bezahlen kann und auch nicht die Bilanz." So werde das wohl alles nicht machbar sein.

Auch Steuerberater Christian Marek aus Niederösterreich klagt über Stolpersteine. Marek vertritt vor allem Klein- und Kleinstunternehmer und findet die Bürokratie im Zusammenhang mit Kurzarbeit überbordend. Die – zwar gesetzeskonforme, aber nicht administrierbare – Postzustellung von Zugangsdaten durch das AMS sei in Zeiten wie diesen unangemessen. Etwa 100 Betriebe hätten über Nacht einen elektronischen AMS-Zugang gebraucht, um das zwölfseitige Kurzarbeitsanmeldeformular zu befüllen bzw. zu senden, so Marek. "Um einen neuen Zugang zu bekommen, müssen wir unseren 100 Klienten das Antragsformular senden, das diese dann entweder ans AMS schicken oder an uns zur Weiterleitung." Dann werde per Posteinschreiben ein Zugangscode retourniert, der oft nicht zugestellt werden könne, weil viele Betriebe geschlossen sind. Der hinterlegte gelbe Zettel werde vielleicht Wochen später gefunden. Marek kann es gar nicht fassen. Es sei dringend an der Zeit, "den wahnsinnigen Verwaltungsaufwand mit Hirn einzudämmen".

Kurzarbeit überfordert

Bei der Kurzarbeit hake es auch bei den Betrieben, kontert AMS-Chef Johannes Kopf. Er beklagte im STANDARD Interview, dass viele Tausend Anträge auf Kurzarbeit eingingen, aber drei Viertel davon unvollständig seien, etwa weil die Sozialpartnereinigung fehle. "Bei jedem dieser unvollständigen Anträge müssen wir nachtelefonieren und Unterlagen nachfordern."

Ungeduldig wird auch die Industrie. Sie sieht sich eingeklemmt zwischen den in der Coronavirus-Krise nötigen Ausgangsbeschränkungen und Betretungsverboten, und der Aufrechterhaltung der Produktion. Kritische Infrastruktur wie Nahrungsmittelindustrie, Landwirtschaft, Telekommunikation und Energie würde nur aufrechterhalten, wenn Verschleiß- und Ersatzteile für Landmaschinen oder Glasampullen für Pharmaprodukte weiter produziert und geliefert würden.

Industrie rebelliert

"Sicherheits- und Hygienevorschriften sind natürlich einzuhalten", Schichten würden verkürzt, und Abstände erhöht, versichert ein Industrieller, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Aber es sei unverständlich, dass Polizisten Arbeiter davon abhielten, in die Schicht zu gehen. "Es gibt eine Arbeitspflicht in Österreich. Wenn Lieferketten abreißen, bricht alles zusammen."

Ihre Nöte und Sorgen haben die in Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung vereinten Industriebetriebe der Regierung mitgeteilt. In einer Resolution appellieren sie, von Produktions- und Werksschließungen abzusehen. "Ein Stillstand in Industrie, Zuliefer-, Dienstleistungs- und Gewerbebetrieben würde unmittelbar die Versorgungssicherheit gefährden, Arbeitsplätze vernichten und mittelfristig Österreichs Chancen zur Wiedererlangung des Wohlstands um Jahre verzögern." Der Blutkreislauf muss am Laufen bleiben, appelliert Industrie-Generalsekretär Christoph Neumayer.

Am Laufen halten will auch die ÖBB ihr mittlerweile abgespecktes Fahrplanangebot. Im Güter- und Personenverkehr sei mit Rückgängen von 30 bis 35 Prozent zu rechnen, sagt ÖBB-Chef Andreas Matthä dem STANDARD. Der Fahrgastrückgang habe zeitweise sogar 90 Prozent betragen. Nun will man mit Kurzarbeit gegensteuern. Wie viele der rund 37.000 Beschäftigten in Österreich auf Kurzarbeit geschickt werden, sei noch nicht klar, reduzieren will man jedenfalls die Arbeitszeit um die Hälfte. Beginnen will man am 1. April. "Im Gegensatz zu den Lkws fahren die Güterzüge wenigstens", sagt der ÖBB-Chef in Anspielung auf die Staus wegen Grenzkontrollen und -schließungen. Allerdings sei der Einbruch stärker als in der Finanzkrise. Der Personenverkehr werde sich erholen, sobald Schüler und Pendler wieder fahren. (Luise Ungerboeck, Regina Bruckner, 27.3.2020)