Ich wache auf, die Sonne scheint, für ein paar Sekunden scheint alles so zu sein wie immer. Dann setzt die Realität ein und ich greife zu meinem Handy, um die aktuellsten Corona-Fallzahlen in der Dominikanischen Republik zu überprüfen. Dort, wo meine über 70-jährige Mutter gerade festsitzt. 718 Fälle sind es aktuell, vor acht Tagen waren es noch 34, vor zwei Wochen waren es erst fünf. Mein Magen krampft sich zusammen, die österreichischen Zahlen nehme ich nur am Rand war.

Es scheint ein zutiefst menschliches Bedürfnis zu sein, in Zeiten der Verunsicherung und der Krise die wichtigsten Menschen im Leben sicher in der Nähe und gut versorgt zu wissen. Umso schlimmer fühlt es sich an, wenn das engste Familienmitglied auf unbestimmte Zeit komplett außer Reichweite ist – und ganz besonders, wenn es, so wie meine Mutter, aufgrund von Alter und Vorerkrankungen gleich mehrfach zur Covid-19-Risikogruppe gehört. Ein halber Kontinent und ein ganzer Ozean liegen zur Zeit zwischen meiner Mutter und mir.

Bei einem Familienbesuch in ihrer alten Heimat wurde sie von der Pandemie überrascht, eine baldige Rückkehr ist ungewiss. Sowohl die an sich erfolgreiche Umbuchung als auch der Rückholungsflug scheiterten quasi im letzten Moment am zusätzlichen Sauerstoff, den sie beim Fliegen benötigt und der nicht organisiert werden konnte.

Die Gedanken kreisen: Um die Mutter, die in der Dominikanischen Republik festsitzt.
Foto: antonius

Nun sind zumindest ihre lebenswichtigen Medikamente – die sie vor Ort nicht bekommt – zu ihr unterwegs. Aktuell hängen sie in Madrid. Werden sie ankommen, bevor ihre Vorräte aufgebraucht sind? Zum jetzigen Zeitpunkt beschließe ich einfach ganz fest zu glauben. Die Alternative will ich mir nicht vorstellen. Auch eine Ansteckung wäre aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen katastrophal. "Niemals rausgehen, niemandem zu nahe kommen, immer Hände waschen", bläue ich ihr jeden Tag ein, viel mehr kann ich von hier aus nicht machen. Ein schlimmes Gefühl. Meine Mutter klingt am Telefon verunsichert, ihre Stimme ist zittrig, aber ich weiß, sie versucht soweit es möglich ist, ruhig zu bleiben. So wie ich auch. Die Nerven in diesen Tagen nicht komplett zu schmeißen, ist gerade ein ziemlicher Kraftakt, auf beiden Seiten des Ozeans.

Auch mein Tagesablauf ist seit Corona ein anderer. Auch ich arbeite im Homeoffice, räume Dinge in der Wohnung von A nach B, backe Bananenbrot, füttere die Katze, skype mit meinen Freunden und trinke dabei ein Bier. Doch meine Gedanken sind immer ganz woanders. (Anya Antonius, 30.3.2020)