Kein Ort, an dem man tauchen möchte: Ein Schwarm von Humboldt-Kalmaren düst durchs Wasser. Zugleich läuft hier eine Kommunikation ab, die US-Forscher einen Vergleich zu E-Book-Readern ziehen ließ.
Foto: 2010 MBARI

"El diablo rojo", den roten Teufel, nennen Fischer der Pazifikküsten Lateinamerikas den Humboldt-Kalmar (Dosidicus gigas). Mit einer Länge von zwei Metern oder mehr gehört er zu den größten Kalmaren und ist wie alle Angehörigen seiner Ordnung ein Fleischfresser. Seine Beute – Fische, Krebse sowie andere Kopffüßer, darunter auch Artgenossen – packt er mit den zwei verlängerten Fangarmen, an denen zahnbewehrte Saugnäpfe sitzen. Sein kräftiger Chitinschnabel kann problemlos Krabbenpanzer knacken.

Mensch und Kalmar

Seinen respektgebietenden Spitznamen hat sich der Humboldt-Kalmar erworben, weil sich auch menschliche Taucher vor dem blitzschnellen Jäger besser in Acht nehmen sollten. Attacken sowohl auf Taucher als auch auf Unterwassersonden sind dokumentiert. Unter Wissenschaftern gehen nur die Interpretationen darüber auseinander, ob es sich dabei um Neugier oder um tatsächliche Angriffslust handelt (falls das für die Tiere überhaupt getrennte Prinzipien sind).

Das "Rot" freilich ist bereits eine Reaktion auf besondere Umstände: Wie es für Kopffüßer typisch ist, haben Humboldt-Kalmare sogenannte Chromatophoren, also pigmenthaltige Hautzellen, die sich über winzige Muskeln ausdehnen oder zusammenziehen lassen. Das Tier kann dadurch seine Farbe ändern und eine große Bandbreite an Mustern über seine Haut wabern lassen. Das Rot interpretieren Forscher als Reaktion auf eine Bedrohung – und tatsächlich müssen Humboldt-Kalmare Fischer mehr fürchten als umgekehrt.

Keine Einzelgänger

Eine Besonderheit des Humboldt-Kalmars ist, dass er in großen Schwärmen auf die Jagd geht. Er ist damit eines der ganz wenigen Beispiele von Kopffüßern, bei denen das Sozialleben über die Paarung und den vor der Paarung stattfindenden Konkurrenzkampf hinausgeht. Eindeutige Anzeichen für ein kooperatives Jagdverhalten gibt es bislang nicht. Aber koordiniert sei die Jagd allemal, berichten Forscher der Universität Stanford in den "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS).

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Ist schon so manchem Fischerfinger zum Verhängnis geworden: der Schnabel eines Humboldt-Kalmars.
Foto: AP Photo/National Marine Fisheries Service

Das Team um Erstautor Benjamin Burford beobachtete über ferngesteuerte Unterwasserfahrzeuge Schwärme von Humboldt-Kalmaren, die Jagd auf Laternenfische machten. Obwohl hunderte Kalmare kreuz und quer wie Harpunen durchs Wasser zischten, kam es zu keinen Kollisionen und auch zu keinen größeren Streitigkeiten um Beute. Die Forscher gehen davon aus, dass sich die Tiere durch visuelle Kommunikation koordinieren.

Farbe und Licht

Die Muster auf der Haut müssen 500 Meter unter der Meeresoberfläche aber erst einmal gesehen werden können. Neben den Chromatophoren sei daher eine zweite Komponente im Spiel, so Burford: nämlich Photophore oder Leuchtorgane. Diese würden der Haut eine nur ganz schwache Hintergrundbeleuchtung geben, vor der die dunkleren Muster dann erkennbar werden. Die Forscher vergleichen den Effekt mit der Wirkungsweise eines E-Book-Readers.

Direkt verifizieren ließ sich das nicht: Das Licht, das die Unterwasserfahrzeuge werfen, macht zwar die Muster erkennbar, doch überstrahlt es das subtile Hintergrundleuchten (falls es ein solches der Hypothese entsprechend gibt). Laboruntersuchungen von gefangenen Kalmaren lieferten aber immerhin ein Indiz: Die Photophore saßen vor allem zwischen den Augen und am Flossensaum – und just dort seien die komplexesten Muster zu beobachten, so die Forscher.

Spezifische Kommunikation?

Aber welche Inhalte transportieren diese schwimmenden E-Book-Reader? Da können die Forscher nur spekulieren und lehnen sich teilweise recht weit aus dem Fenster. So könnte beispielsweise ein Kalmar den anderen "Dieser Fisch dort gehört mir" signalisieren, um Kollisionen und Gerangel vorzubeugen. Außerdem zeigen die Tiere laut den Forschern gegenüber einem einzelnen Widerpart andere Muster als gegenüber einer großen Gruppe.

Die Forscher glauben sogar Anzeichen dafür gefunden zu haben, dass man die Muster auf der Kopffüßerhaut in unterscheidbare Untereinheiten gliedern kann, die sich verschieden kombinieren lassen – also in ähnlicher Weise wie Buchstaben. "Wer weiß, welche Informationen sie mitteilen", sagt Burford, "und welche Entscheidungen sie auf Basis dieser Informationen treffen?" Die Forscher betonen aber, dass es noch zu früh sei, um zu sagen, ob es sich dabei tatsächlich um eine Art Sprache handelt.

First Contact

In jüngerer Vergangenheit haben die gefräßigen Humboldt-Kalmare ihr Verbreitungsgebiet stark nach Norden ausgeweitet und sind mittlerweile schon vor der kanadischen Küste zu finden. Ihre Erfolgsgeschichte – vorangetrieben vermutlich von der Meereserwärmung und dem Rückgang der Raubfischbestände – hat sie auch für die Forschung immer interessanter werden lassen. Die Entschlüsselung ihrer Kommunikation wäre ein wichtiges Puzzlestück, um die Lebensweise der "roten Teufel" zu verstehen.

Die nächste Begegnung zwischen Mensch und Humboldt-Kalmar könnte jedenfalls interessant werden: Burfords Team liebäugelt mit der Idee, einen "virtuellen Kalmar" samt Farbmustern zu entwickeln, der dann vor den echten Tieren ins Wasser projiziert wird – und dann zu schauen, wie sie reagieren. (jdo, 20.4.2020)

Ein Humboldt-Kalmar reagiert auf ein Tauchfahrzeug in 300 Metern Tiefe. In Zukunft könnte es zu Begegnungen kommen, die für beide Seiten noch interessanter sind.
Foto: 2010 MBARI