In unserem Gehirn gibt es Nervenzellen, die auf ganz bestimmte Reize reagieren. Sie sind beispielsweise immer dann aktiv, wenn wir ein Gesicht sehen. Ganz egal, ob es ein reales Gesicht eines Menschen ist oder nur ein zufälliges Muster, welches wir wie bei einem Emoji als Augen und Mund wahrnehmen. Ende der 1960er Jahre postulierte der Kognitionswissenschafter Jerry Lettvin die Idee, es könnte eine Gehirnzelle geben, die nur auf eine ganz bestimmte Person – wie die eigene Großmutter – reagiert, das "Großmutterneuron".
Obwohl man heute eher davon ausgeht, dass Erinnerungen in einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Zellen verschlüsselt sind, fanden Forscher im Jahr 2005 erstmals Nervenzellen, die tatsächlich auf eine bestimmte Person reagierten. Da bei dem Experiment Bilder von Schauspielerinnen gezeigt wurden, wurde das Großmutterneuron mitunter in Jennifer-Aniston-Neuron umgetauft.
Jackie Chan aktiviert das Gehirn
Eine neue Studie eines Forschungsteams um Rodrigo Quian Quiroga, der schon vor 15 Jahren an ihrer Entdeckung beteiligt war, klärte weitere Detailfragen zur Funktionsweise dieser spezialisierten Gehirnzellen. Wie häufig in diesem Forschungsbereich wurden die Experimente mit Epilepsiepatienten durchgeführt, die zur Ergündung der Anfallursache Elektroden ins Gehirn implantiert bekommen hatten, mit denen sich die Aktivität einzelner Neuronen messen lässt.
Den sechs Probanden wurden Fotos bekannter Stars, darunter Jackie Chan oder der argentinische Fernsehmoderator "Topa", aber auch neutraler Objekte wie Katzen und Landschaften gezeigt. Einige Gehirnzellen im Hippocampus im mittleren Temporallappen, der sich unter der Schläfe befindet, zeigten nur dann Aktivität, wenn ein Foto einer bestimmten Person gezeigt wurde.
Die Großmutter beim Namen nennen
Die Zellen reagierten dabei in der gleichen Weise auf verschiedene Bilder derselben Person und, wenn auch mit geringerer Intensität, auf den geschriebenen oder von einer Computerstimme gesprochenen Namen der Person. Dies bestätigte frühere Beobachtungen, dass die Großmutterneuronen nicht nur auf die visuellen Reize reagieren, sondern ein ganzes Konzept repräsentieren.
Diese "Konzeptneuronen" zeigen zwar Unterschiede in der Aktivität zwischen Bildern und Namen, aber die Unterschiede zwischen den gezeigten Personen waren deutlich größer. Die neuen Ergebnisse zusammen mit früherer Forschung, die gezeigt hatte, dass die Aktivitätsmuster eine gewisse Ähnlichkeit haben können, wenn eine Verbindung zwischen den Personen besteht, bringen die Wissenschafter zur Vermutung, dass die Neuronen durch Assoziation gestimmt werden. Das Großmutterneuron reagiert dann auch auf den Großvater oder Omas Kuchenrezept. (Friederike Schlumm, 6.4.2020)