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Eine der momentan berühmtesten Adressen für Heimquarantäne: Downing Street Nr. 10 in London.

Foto: REUTERS/Toby Melville

Noch am Vorabend hatte der Premierminister vor seiner Residenz in der Downing Street den Mitarbeitern im nationalen Gesundheitssystem NHS applaudiert. Freitagvormittag überraschte Boris Johnson die Nation dann mit einer Mitteilung: Ein Test auf das Coronavirus sei bei ihm positiv verlaufen: "Ich befinde mich in Selbstisolation, arbeite von daheim."

Der konservative Regierungschef ist mit seiner Heimquarantäne in einer ähnlichen Lage wie Kanadas Premier Justin Trudeau und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel – wobei deren Tests negativ ausgefallen waren. In seiner gut zweiminütigen Ansprache machte der 55-Jährige einen munteren Eindruck. Seine Symptome seien "leichtes Fieber und ein hartnäckiger Husten", den er aber für die Dauer des Fernsehclips unterdrücken konnte. Wenige Minuten später eine weitere Schlagzeile: Auch Gesundheitsminister Matt Hancock (41) ist erkrankt.

Prinzipiell verfügt der Premierminister ja über eine robuste Gesundheit; als Londoner Bürgermeister erschreckte er Passanten gern beim Joggen bei Regenwetter mit den denkbar scheußlichsten Kopftüchern. Wahlkämpfe übersteht der Politiker, dem sonst ein Gläschen Rotwein nicht fremd ist, durch strenge Alkoholabstinenz. Im Herbst teilte der damals frischgebackene Regierungschef mit, er habe mit veganer Ernährung experimentiert. "Aber das Leben ohne Käse ist doch wenig erfreulich."

Kein Kontakt zur Verlobten

Fernhalten muss sich Johnson in den nächsten Tagen vor allem von seiner Verlobten Carrie Symonds. Die 31-Jährige – frühere PR-Managerin der konservativen Partei – erwartet im Frühsommer das erste gemeinsame Kind; Johnson wird dann bereits mindestens zum sechsten Mal Vater. War zu Beginn der Corona-Epidemie das Virus noch als harmlos für Schwangere eingestuft worden, hat sich diese Einordnung auf der Insel seither verändert.

Ausdrücklich betonte Johnson, er habe sich dem Test auf Rat des obersten Gesundheitsbeamten Englands, Christopher Whitty, hin unterzogen. Offenbar wollte er damit ähnlicher Kritik vorbeugen, wie sie zwei Tage zuvor an Prinz Charles lautgeworden war.

Auch der 71-jährige Thronfolger leidet an milden Symptomen, auch bei ihm verlief ein Test positiv. Darüber erregten sich einige Medien und wiesen darauf hin, dass auf der Insel normalerweise nur Schwerkranke in Spitälern sowie das Personal der Gesundheitsbehörde NHS getestet wird.

Der etwas kleinlich anmutende Einwand hat immerhin einen ernsten Hintergrund: Seit Beginn der Pandemie stolpert das Vereinigte Königreich der Direktive der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hinterher: "Tests, Tests, Tests." Bis Donnerstagabend waren davon auf der Insel knapp 100.000 erfolgt. In Österreich – das bloß ein Achtel der Einwohnerzahl Großbritanniens aufweist – wurden bisher laut Gesundheitsministerium rund 40.000 Testungen durchgeführt.

Ähnlich große Industrienationen schaffen die britische Gesamtzahl spielend in nur einer Woche: In Deutschland beispielsweise herrscht Streit darüber, ob die wöchentliche Quote lediglich bei 160.000 Tests oder doch, wie die Berliner Charité vermutet, eher bei einer halben Million liegt.

An Johnson und seiner Regierung gibt es allerlei Kritik in den Medien – die allerdings von der Mehrheit der Bevölkerung laut Umfragen bisher nicht geteilt wird. Der überfordert wirkende Premier und seine engsten Berater hätten die Pandemie falsch eingeschätzt, glaubt beispielsweise der Chefredakteur des Medizinjournals "The Lancet", Richard Horton.

Das NHS gilt allgemein als ausgemergelt. Tatsächlich verfügte die gesamte Insel vor Ausbruch von Covid-19 lediglich über rund 4.300 Intensivbetten; diese werden jetzt ebenso hastig aufgestockt wie die zur Verfügung stehenden Beatmungsmaschinen und die Schutzkleidung für Ärzte, Krankenpfleger und Sanitäter.

Wer vertritt den Premier?

Sollte der Premier doch schwerer erkranken und die Regierungsgeschäfte zeitweilig abgeben müssen, ist immerhin die Nachfolge geregelt. Zu Wochenbeginn war nämlich durchgesickert, im Kabinett habe es Kompetenzstreitigkeiten zwischen Johnsons Weggefährten Michael Gove, im Kabinettsbüro für die Covid-19-Koordination zuständig, und dem nun selbst erkrankten Gesundheitsminister Hancock gegeben.

Aus der Downing Street hieß es deshalb: Es bleibt bei der vereinbarten Zuständigkeit, das Ruder übernehmen würde Außenminister Dominic Raab. Ob dies der Insel guttäte? Im Foreign Office wird er insgeheim "Dim Dom" genannt: doofer Dominic. (Sebastian Borger aus London, 27.3.2020)