Justizministerin Alma Zadić geht noch in das Palais Trautson, um zu arbeiten. Das Interview mit dem STANDARD fand allerdings per Videotelefonie statt.

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Alma Zadić ist im Stress: Die Corona-Krise beschäftigt auch das Justizministerium intensiv, denn der Kampf gegen das Virus geht auch mit heiklen Eingriffen in die Grundrechte einher. Darüber sprach DER STANDARD mit der Justizministerin – krisenbedingt natürlich per Videochat.

STANDARD: Die Freiheitsbeschränkungen in Österreich sind krisenbedingt weitreichend. Gibt es viele Leute, die sich bei der Justizministerin drüber beschweren?

Zadić: Bei mir hat sich noch niemand über die Beschränkungen beschwert, aber wir haben viele Anfragen. Allen ist klar, dass die Einschränkungen auch der Grund- und Freiheitsrechte dem Kampf gegen die Corona-Krise geschuldet sind. Entscheidend ist, dass jede Maßnahme verhältnismäßig und befristet ist und nur im Zusammenhang mit dem Coronavirus gesetzt wird. Jede Grundrechtsmaßnahme ist befristet, jede Maßnahme im Justizbereich endet spätestens am 31. Dezember 2020, die meisten früher.

STANDARD: Haben Sie mehr Widerstand erwartet?

Zadić: Der Regierung und uns Grünen war schon klar, dass diese Einschnitte sehr grundrechtssensibel sind. Deshalb ist es so wichtig, dass die Maßnahmen über die Parteigrenzen hinweg angenommen wurden. Das hat die Akzeptanz bei der Bevölkerung gestärkt.

STANDARD: Sehen Sie die Gefahr, dass sich die Bevölkerung an solche Maßnahmen "gewöhnt" und die Hemmschwelle von Regierenden zu Eingriffen in Freiheitsrechte sinkt, auch wenn sie nicht nötig sind?

Zadić: Unsere Gesellschaft ist freiheitsliebend. Regierung, Parlament, Gerichtsbarkeit achten auf die Grundrechte und die Verfassung. Ich persönlich werde alles daransetzen, dass unsere Freiheiten aufrechterhalten bleiben.

STANDARD: Die Ausgangsbeschränkungen wurden von Polizisten mitunter sehr streng ausgelegt ...

Zadić: Der Innenminister ist dahinter, der Polizei die richtigen Anweisungen zu erteilen, damit sie die Regeln richtig auslegen.

STANDARD: Regt die Situation nicht das Vernadern von Mitbürgern an?

Zadić: Jeder spürt, dass es wichtig ist, die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Natürlich wird das alles Auswirkungen auf die Gesellschaft haben, deshalb müssen wir nach der Krise schonungslos evaluieren, welche Maßnahmen funktioniert haben und welche nicht.

STANDARD: Kann das Justizministerium ausschließen, dass Infizierte gegen ihren Willen standortüberwacht werden?

Zadić: Derzeit ist mir kein derartiges Vorhaben bekannt.

STANDARD: In einem ersten Entwurf zum Corona-Gesetzespaket war Ähnliches vorgesehen ...

Zadić: Ich habe keinen solchen Entwurf gesehen.

STANDARD: Viele Menschen leben auf engstem Raum zusammen. Steigt die häusliche Gewalt?

Zadić: Wir lassen die Statistiken gerade auswerten. Zum ständig Daheimsein kommen noch existenzielle Ängste und finanzielle Nöte – deshalb habe ich mit der Frauenministerin eine Offensive gestartet. Auch in der Corona-Krise haben wir als Regierung Sorge zu tragen, dass niemand Gewalt ausgesetzt sein muss.

STANDARD: Wohin werden gewalttätige Männer weggewiesen?

Zadić: Es wird jedenfalls auch Wegweisungen geben, wenn über den betreffenden Haushalt Quarantäne verhängt ist. Dann muss die Polizei mit den Gesundheitsbehörden Kontakt aufnehmen.

STANDARD: Es gibt erste Corona-Fälle in Gefängnissen. Fürchten Sie,dass sich das Virus dort schnell ausbreiten wird?

Zadić: Das ist meine größte Sorge. Wir haben deshalb schon Ende Februar die Besucherkontakte zurückgefahren und nun komplett ausgesetzt. Neu Inhaftierte kommen 14 Tage in Einzelhaft, um die Einschleppung des Virus in Justizanstalten zu verhindern. Das sind sehr einschränkende Maßnahmen, aber sie werden von Insassen und Bediensteten gut aufgenommen.

STANDARD: Werden Sie Häftlinge, deren Freiheitsstrafe bald verbüßt ist, früher entlassen?

Zadić: Derzeit sind Entlassungen nicht geplant. Haftantritte werden allerdings aufgeschoben. Aber nur, wenn die Strafe nicht höher als drei Jahre ist und es sich nicht um Sexual- oder Gewaltdelikte handelt.

STANDARD: Wie wird die Krise unsere Gesellschaft verändern? Werden wir näher beisammenstehen, oder werden bestehende Gräben größer?

Zadić: Über diese Frage diskutiere ich sehr oft mit meinen Freunden – derzeit virtuell. Vielleicht lernen wir den persönlichen Kontakt mehr zu schätzen und auch, dass die Gesellschaft noch funktioniert, wenn wir einen Gang zurückschalten. Wir nehmen in der Krise Menschen wahr, die extrem gefordert sind: ob Beschäftigte im Supermarkt, Ärztinnen und Ärzte, Pflegerinnen und Pfleger und viele mehr. Ich hoffe, dass sich da eine größere Wertschätzung für gewisse Berufsgruppen entwickelt.

STANDARD: Sie sprechen die Empathie an. Gleichzeitig wird die Lage in den Flüchtlingscamps in Griechenland immer dramatischer. Warum helfen wir nicht?

Zadić: Die Lage ist tatsächlich verheerend. Dass Flüchtlinge dort unter menschenunwürdigen Bedingungen leben, ist klar und offensichtlich. Angesichts der Corona-Krise müssen wir auf europäischer Ebene aktiv werden, damit es in den Camps zu keinem Ausbruch der Krankheit kommt. Schon davor waren wir Grüne uns einig, dass wir die Schwächsten, etwa Kinder, rausholen müssen.

STANDARD: Aber geschehen ist noch nicht viel.

Zadić: In der österreichischen Bundesregierung gibt es keine Einigung diesbezüglich.

STANDARD: Macht Sie das traurig?

Zadić: Wenn ich mir die Bilder anschaue, macht mich das selbstverständlich betroffen. (Renate Graber, Fabian Schmid, 27.3.2020)