Verkehrte Verhältnisse: Yorgos Lanthimos' Parabel des Eingeschlossenseins "Dogtooth".

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Den beunruhigendsten Satz über unser Verhältnis zum Außen hat der Philosoph Blaise Pascal schon im 17. Jahrhundert notiert: "Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen." In Zeiten der Isolation erzeugt der Satz besonderen Klang. Er lässt sich aber auch gut auf einen anderen geschlossenen Raum, das Kino, beziehen.

Schon den chilenischen Regisseur Raúl Ruiz hat die Aussage zu einer Installation inspiriert, für die er ein kinoähnliches Simulakrum mit Kirchenbänken schuf. Filme haben von jeher unermüdlich die Implosion von Innenräumen und den Drang nach draußen thematisiert, die Suche nach Zerstreuung und unsere Unfähigkeit, lange allein zu sein. Hier fünf sehenswerte Filme zum Thema:

FilmBuff Movies

1 . Den Horror sozialer Verhältnisse erforscht kaum jemand so erfindungsreich wie der griechische Regie-Wunderknabe Yorgos Lanthimos (The Favourite). Dogtooth war der Film, mit dem er sich erstmals einem Weltpublikum empfohlen hat. Ein Isolationsdrama als philosophische Parabel: Ein Paar zieht seine beiden Töchter völlig abgekapselt von der Außenwelt auf. Um sie abzuhalten, die Welt hinter dem Zaun zu entdecken, tischen sie ihnen Lügen auf, Sprache wird rigoros umgeformt: Ein Zombie ist hier eine kleine Blume, "Meer" bedeutet "Sessel". Die symbolische Ordnung erhält freilich dennoch bald Risse. Auch zu empfehlen: der Nachfolgefilm Alpis (Alpen) über eine Hilfstruppe, deren Mitglieder die Rolle von Verstorbenen annehmen, um Trauer zu mildern. Surreal, brisant und auch ziemlich witzig – auf Lanthimos-eigene Art. (Amazon Prime)

janusfilms

2. Grey Gardens ist ein Unikum der Dokumentarfilmgeschichte aus dem Jahr 1975, inszeniert (und gefunden) von Albert und David Maysles, zwei Direct-Cinema-Veteranen. Im Mittelpunkt stehen Edith Bouvier Beale und ihre Tochter Edie, Cousinen von Jackie Kennedy Onassis, die eine Villa in den East Hamptons teilen, und zwar seit vielen Jahren. Aufgeräumt hat hier schon lange keiner mehr, Waschbären und Katzen leben in Untermiete, als heilloses Durcheinander erscheinen auch die Geschichten, die sich die beiden erzählen, wenn sie nicht gerade aufeinander herumhacken. Eine Zwangsbeziehung von Buñuel’schen Dimensionen für die Ewigkeit. (DVD bei Criterion)

Pandora Film Verleih

3. Endlich allein im Polizeiauto auf der Autobahn rasen, endlich wie ein Einsiedler leben: Dem populären Postkatastrophenszenario einer bis auf einen letzten Menschen entvölkerten Welt verleiht Ulrich Köhlers Film In My Room eine poetische Anmutung. Armin (Hans Löw) bleibt mit all seinen Unsicherheiten und Neurosen allein zurück. Eine unerwartete Chance für einen Neustart des Berufsjugendlichen, den er so nie hingekriegt hätte. In My Room ist ein Film nuancierter Beobachtungen und subtiler Veränderungen. Er fragt danach, wie viel vom Alten wiederkehrt, wenn plötzlich zu viele Optionen offen sind. (Amazon Prime und iTunes)

UniFrance

4. Wie durchlebt ein Sonnenkönig die Isolation? In La mort de Louis XIV (Der Tod von Ludwig XIV.) inszeniert der katalanische Kinogrenzgänger Albert Serra das langsame Dahinsiechen der höchsten Autorität des Landes als Kammerspiel im Halbdunkel. Alles konzentriert sich auf das Bett des Souveräns, aus dem er in den nächsten zwei Filmstunden allenfalls kurz (und dann nur mit fremder Hilfe) hochkommen wird. Der Nouvelle-Vague-Veteran Jean-Pierre Léaud spielte den Moribunden als Wimmernden mit nekrotischem Fuß, der im Verlauf des Films immer schwärzer wird. Der Tod sei demokratisch, sagt Serra. (www.filmgarten.at)

horrorfan

5. Als John Carpenters The Thing 1982 herauskam, wurde er von der Kritik gehasst, das Publikum blieb aus. Im Lauf der Jahrzehnte, gepusht durch die wachsende Fankultur, erwies er sich jedoch als resistenter (Isolations-)Klassiker. Eine Männercrew in der Antarktis kämpft gegen einen außerirdischen Parasiten, der Menschen klont und erst in der Gefahr seine Fratze offenbart. Soziale Distanz in der härtesten Variante. Make-up-Artist Rob Bottin musste nach dem Dreh wegen Erschöpfung ins Krankenhaus. Beste letzte Worte – ever – angesichts von Gefahr und Eiseskälte: "Why don’t we just wait here for a little while, see what happens?" (Amazon Prime) (Dominik Kamalzadeh, 28.3.2020)