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Niemand würde auf die Idee kommen, Dennis E. Taylor als großen Stilisten zu bezeichnen, als Erkunder seelischer Abgründe oder als Schwergewicht in Sachen wissenschaftliches Fundament. Der Erfolg seiner "Bobiversum"-Trilogie beruhte auf dem richtigen Mix aus Unterhaltung und Menschlichkeit, vor allem aber auf zwei Glücksgriffen: einer zündenden Grundidee und einer hochsympathischen Hauptfigur. Nach dem vorläufigen Ende der Reihe gibt uns Taylors neuer Roman nun erstmals die Gelegenheit, zu überprüfen, was der Autor zuwege bringt, wenn er sich etwas Neues ausdenken muss.

Hauptfigur von "Die Singularitätsfalle" ist Ivan Pritchard, ein Computerspezialist und Klimaflüchtling, der mit seiner kleinen Familie im Prekariat lebt. Um Frau und Kind zu versorgen, hat er sich dazu entschlossen, auf einem Raumschiff anzuheuern, das Asteroiden auf Rohstoffvorkommen untersucht. Der Job bedeutet monate- oder gar jahrelange Trennung von seinen Angehörigen, zudem gibt es keine Erfolgsgarantie. Sollte die "Mad Astra" jedoch einen Treffer landen, wird jedes Mitglied ihrer Crew zum Milliardär.

Interstellarer Beifang

Und tatsächlich stößt die "Mad Astra" nach langer Mühsal auf Gold (bzw. alle möglichen wertvollen Stoffe). Allerdings ist da auch noch etwas anderes – nämlich ein außerirdisches Artefakt. Im Prolog des Romans haben wir gelesen, wie ein interstellarer Reisender in prähistorischer Zeit das Sonnensystem besucht und vor dem Weiterflug auf einem Asteroiden einen Abgesandten hinterlassen hat. Dieses Objekt hat dort geduldig gewartet, bis jemand Kontakt zu ihm aufnimmt. Natürlich wird es Ivan sein.

Als Ivan unbekümmert die Hand nach dem Artefakt ausstreckt, springt ein Schwarm von Nano-Maschinen auf ihn über. Die beginnen nun damit, Stück für Stück Ivans Fleisch durch Metall zu ersetzen – er wird zum "Chrommann", wie er es selbst nennt. Es handelt sich dabei übrigens um ebenso umsichtige wie treue Parasiten: Das Metall, das sie für seinen neuen Aktionskörper benötigen, bauen sie so behutsam aus der Umgebung (=dem Raumschiff) ab, dass kein Schaden entsteht. Auch Ivans Gesundheit leidet unter der Umwandlung nicht. Und sie zeigen keinerlei Interesse daran, andere Crewmitglieder zu befallen. Werden Naniten aus Ivans Körper entfernt, kehren sie umgehend zu ihm zurück.

Dennoch muss Ivan in Quarantäne ... was sich in Zeiten wie diesen ein wenig mulmiger liest, als es normalerweise der Fall wäre. Seine fortschreitende Verwandlung nimmt er mit Galgenhumor: "Ich habe heute Morgen in den Spiegel geschaut", sagte Ivan. "Ich wollte weinen, aber ich konnte es nicht. Ich glaube, mein Kopf unterstützt diese Funktion nicht." Natürlich versucht er so auch seine Zweifel zu überspielen, ob er noch er selbst ist. Aber wie gesagt: Die Abwärtsfahrt in seelische Abgründe dauert bei Taylor nie sehr lange. Nach ein, zwei Etagen leuchtet stets das Ausgangsschild "Scheiß drauf, schreiten wir zur Tat!" auf.

Konfliktszenarien

Kurz sei noch die Handlung angerissen, die sich auf dieser Ausgangsbasis entwickelt. Sie beruht im Wesentlichen auf zwei Konfliktfeldern, eines davon das – äußerst erwartbare – Gerangel der irdischen Machtblöcke um die Technologie des Artefakts. Dazu kommt allerdings noch ein wesentlich größerer Konflikt auf galaktischer Ebene. Den beginnt Ivan erst langsam zu erahnen, als sich seine Umwandlung als das entpuppt, was sie ist: ein Kommunikationsversuch.

Das entworfene Szenario fügt sich dann irgendwo zwischen David Brins "Existenz" und James Coreys "Expanse"-Reihe ein. Es wird gegen Ende noch zu einigen umwälzenden Vorgängen führen; die hätten übrigens gerne auch schon ein bisschen früher eingebracht werden können.

More or less more of the same

Es ist Dennis E. Taylor hoch anzurechnen, dass er den Safe Space des "Bobiversums" verlassen hat und den Erfolg nicht wie Corey in einer Endlosreihe ausmelkt. Im Prinzip. Aber wie weit hat er sich tatsächlich gestreckt? Vieles hier wirkt vertraut. Die leutselige Erzählweise kann man nun also ebenso Taylor-typisches Element werten wie den grundsätzlichen Optimismus. Immerhin deutet Taylor hier ein klassisches SF-Motiv – die außerirdische Infektion – vom Negativen ins Positive um.

Das sind aber bei weitem nicht alle Parallelen zwischen der "Singularitätsfalle" und den "Bobiversum"-Romanen. Wieder haben wir einen gutmütigen Underdog, "einen von uns", als Hauptfigur. Erneut widerfährt diesem der Verlust des Körpers, und einmal mehr ist dies mit neuen Fähigkeiten verbunden, die die Rettung der Menschheit bedeuten könnten. Im Grunde sind Ivan und Bob ein- und dieselbe Person. Damit kann "Die Singularitätsfalle" zwar wieder unterhalten. Ein klares Nein auf die Frage, ob Taylor nun ein One-Trick-Pony ist oder nicht, bleibt es uns allerdings schuldig.