Foto: Knaur

Full Disclosure: Wenn gleich auf der ersten Seite jemand "Perkele" sagt (die finnische Fluch-Entsprechung unseres "Scheiße!"), hat ein Roman bei mir sofort einen Sympathiebonus; der lieben Erinnerungen an das Studentenleben in Nordschweden wegen. Natürlich kann ich diesen Zufallstreffer Madeleine Puljic nicht anrechnen, einer Österreicherin, die einigen hier als "Perry Rhodan"-Autorin bekannt sein dürfte. Was man ihr jedoch anrechnen kann, ist die ungewöhnliche Verknüpfung zweier altbewährter SF-Motive: 1) Evaluierung der Menschheit durch Außerirdische und 2) Kolonisierung des Mars. Mehr dazu später.

Besagtes "Perkele" entschlüpft Alvar Lajunen, einem Finnen, der aufgrund seiner "neutralen" Herkunft zum idealen Leiter einer international zusammengesetzten Marsmission auserkoren wird. Ziel ist der Aufbau einer ersten dauerhaften Kolonie auf dem Roten Planeten. Der technologische Stand in "Zweite Heimat" entspricht etwa dem der National-Geographic-Serie "Mars", nur die Beweggründe sind etwas dringlicher als bloßer Forschergeist: Klimawandel, Umweltverschmutzung und Kriege machen die Erde langsam unbewohnbar, der Mars soll zu einer Ersatzheimat umgewandelt werden. Immer wieder hämmert man den wackeren Pionieren ein, dass ihre Mission "die Zukunft" sei, in Klammer dazugedacht: "einzige".

Warum kommt immer alles anders, als man denkt?

Aber wann ist in einem SF-Roman schon mal ein Großprojekt nach Plan verlaufen? Das Kolonisten-Schiff "Celeste" ist noch unterwegs, als von der Erde die Nachricht eintrifft, dass jemand Unerwartetes den Kolonisten zuvorgekommen ist. Ein offensichtlich außerirdisches Raumschiff ist (mit physikalisch eigentlich unmöglichem Tempo) ins Sonnensystem gerast, genau am vorgesehen Ort der Koloniegründung niedergegangen und nimmt nun frech der "Celeste" den Parkplatz weg. Die will wieder abdrehen, wird aber (erneut auf unerklärliche Weise) eingefangen und zur Landung gezwungen. Beim Erstkontakt werden die Menschen mit einem vorwurfsvollen "Wir hatten euch früher erwartet" begrüßt.

Man ahnt es schon: Die Außerirdischen – E'Kturi nennen sie sich – werden Nachbarn der mühsamen Sorte sein. Das bestätigt sich, als sie den eigentlichen Hammer auspacken: Sie erklären den verdutzten Kolonisten, dass von ihrem Verhalten abhängen wird, ob die Menschheit in den Reigen der galaktischen Zivilisationen aufgenommen wird, oder ... (dieses "oder" lassen wir jetzt ominös im Vakuum hängen). Verhältnisse geklärt, jetzt baut bitteschön eure Kolonie auf, während wir dabei zuschauen. "Tut einfach, als wären wir nicht hier" – als könnte man vierarmige Chamäleons von zweieinhalb Meter Höhe, die sich zu jeder Teambesprechung dazudrängeln, übersehen ...

Das Gefühl, unter Dauerbeobachtung zu stehen, wird zu mancher tragikomischen Situation führen. Als es etwa innerhalb des Kolonistenteams einmal zu einem Handgemenge kommt und einer der Kontrahenten zubeißt, denkt ein anderer sofort: "Wenn das mal keine Minuspunkte gibt." Ingesamt hält sich der Humorfaktor aber in Grenzen, die Lage ist schließlich ernst. Wie sollen sich Alvar und seine Mitarbeiter verhalten? Wird es zu einer (bewaffneten) Auflehnung kommen? Wird die Erde eingreifen, womöglich mit Gewalt? Und was hätte das für Folgen? Das sind die Fragen, die die weitere Handlung bestimmen.

Wozu das Affentheater?

Viele werden sich beim Lesen freilich noch eine andere Frage stellen, nämlich: Wozu das ganze Affentheater? Die E'Kturi sind über die menschliche Zivilisation offensichtlich umfassend informiert, wie man alleine schon an ihren Sprachkenntnissen sieht. Sie könnten also einfach über der Erde einschweben und ihr Urteil verkünden, wie es meistens der Fall ist, wenn in der Science Fiction das Motiv Evaluierung der Menschheit aufgegriffen wird.

Bei näherer Betrachtung scheint mir Puljics Zugang aber gar nicht so unlogisch. Die E'Kturi wissen zwar, wie sich die Menschen zuhause benehmen. Es gilt aber noch zu klären, was von unserer Spezies zu erwarten ist, wenn sie auf andere Welten expandiert. Und dabei in engen Kontakt mit anderen kommt. Die Prämisse des Romans hat also durchaus etwas für sich.

Dazu würde auch das Verhalten der Aliens passen, das einer Dauerprovokation gleichkommt. Die E'Kturi sind brüsk bis vollkommen rücksichtslos, zudem borniert, was ihre eigene Kultur anbelangt. Und wer anderen ständig unter die Nase reiben muss, wie primitiv sie doch seien, hat's wohl nötig. Den Eindruck von "advanced beings" machen die E'Kturi jedenfalls nicht. Vielleicht hat besagte galaktische Gemeinschaft den Menschen ja just die Problemkinder der Milchstraße vorbeigeschickt, um den Test nicht zu einfach zu gestalten. Das steht zwar nicht im Roman, würde aber gut ins Bild passen. (Ich habe nebenbei bemerkt schon deutlich schlechtere, aber auch deutlich bessere Alien-Charakterisierungen gelesen; die E'Kturi stelzen irgendwo im breiten Mittelfeld herum.)

Das Urteil

Insgesamt macht "Zweite Heimat" einen durchweg positiven Eindruck. Den einzigen Makel (abgesehen vom Untertitel "Die Reise der Celeste", der den fälschlichen Eindruck einer Generationenschiffsaga erweckt) könnte man im Aufbau finden: Nachdem die längste Zeit alles sehr planvoll dahingeschritten ist, wird die Handlung nach einem Twist (der ist auch noch gelungen!) am Schluss etwas vogelwild. Da laufen die Geschehnisse dann plötzlich ziemlich überstürzt ab. Aber vielleicht wird hier auch nur der Grundstein für eine Fortsetzung gelegt, wir werden sehen.