Foto: William Morrow

A marvel of modern architecture! An achievement in nontraditional urban planning! A car-free, elevator-enabled society! Es liest sich wie eines der technologischen Wunderwerke, auf die Simon Stålenhag mit "Tales from the Loop" einen Abgesang geschrieben hat: Los Verticalés, ein 500 Stockwerke hohes und stetig weiter in den Himmel wachsendes Wohngebäude, das zu einer Welt für sich geworden ist. – Doch auch dieses Wunder gibt es nicht mehr. Los Verticalés ist eingestürzt, und geblieben ist nur der "Haufen" des Titels.

Von der Höhe zur Fläche

Die marktschreierischen Worte, mit denen US-Autor Sean Adams seinen fantastischen Debütroman beginnen lässt, rufen daher auch nicht dazu auf, das Wunder zu bestaunen, sondern sich an The Greatest Recycling Project The World Has Ever Seen! zu beteiligen. Aus dem ganzen Land – vermutlich die USA – sind Arbeiter herbeigeströmt, um für geringen Lohn in den Trümmern nach Brauchbarem zu graben.

Sie hausen in CamperTown, einer Wohnwagensiedlung, die sich neben dem gefallenen Turm so weit in der Fläche ausdehnt, wie sich Los Verticalés einst in die Höhe erstreckte. Ins Leben gerufen wurde die Initiative übrigens vom selben Mann, der den Turm einst bauen ließ. Ausgaben wollte er offensichtlich keine großen machen, und Aktivitäten von Regierungsseite gehören zu den vielen Dingen, die es in der eigentümlichen Romanwelt von "The Heap" nicht zu geben scheint.

Die grabenden Handlungstragenden

Hauptfigur Orville Anders hat ein zusätzliches Motiv, täglich im Haufen zu graben. Sein Bruder Bernard hat als Radio-DJ im Turm gearbeitet, und kurz nach dessen Fall ist er überraschenderweise wieder auf Sendung gegangen. Seit Monaten hockt er irgendwo unter dem Haufen im Dunkeln, ernährt sich von Sickerwasser und Ratten und unterhält sich mit Menschen, die in seinem verschütteten Studio anrufen (via Festnetz, auch Handys sind in dieser Welt anscheinend unbekannt).

Einmal pro Tag spricht auch Orville mit Bernard. Sonderlich nahe haben sich die beiden nie gestanden, und Orville gesteht sich selbst ein, dass er vor allem aus einem Pflichtgefühl heraus auf der Ausgrabungsstelle bleibt. He wanted to want to be there. Adams muss nicht Seiten über Seiten mit Befindlichkeitsgewäsch vollschreiben; auf den Punkt gebrachte Sätze wie dieser und kleine illustrierende Episoden zeichnen ein genaues Bild seiner Charaktere.

Da wäre etwa Orvilles Arbeitskollegin Lydia, die politische Ambitionen hegt und CamperTown gerne zu einem horizontalen Los Verticalés machen würde – sich mit ihrer vorauseilenden Verteidigungshaltung gegenüber Männern aber selbst immer wieder Steine in den Weg legt. Oder der selbsternannte Fotograf Hans, der den Trümmerhaufen eigentlich nur zwecks Inspiration aufgesucht haben will – aber stets eine Ausrede parat hat, warum er gräbt, doch niemals Bilder macht. Selbst eine Nebenfigur wie der junge Terrance, der sich danach sehnt, einfach nur irgendwo dazuzugehören, wirkt trotz der wenigen Pinselstriche, mit denen er gezeichnet wird, wie ein plastische Figur.

Kurz zum Plot

So weit die Ausgangslage. Die Dinge kommen ins Rollen, als ein Medienunternehmen an Orville herantritt und ihm ein geschmackloses Angebot unterbreitet. Weil seine Gespräche mit Bernard ein weltweiter Quotenerfolg sind, soll er gegen Bezahlung die eine oder andere Produktwerbung einbauen. Empört lehnt Orville ab – und erlebt daraufhin ein blaues Wunder nach dem anderen. Erst wird ihm die Telefonleitung gekappt. Und dann muss er am nächsten Tag mitanhören, wie "er" wieder mit seinem Bruder spricht. Ein Stimmenimitator ist in Orvilles Rolle geschlüpft.

Einige unvorhersehbare Wendungen werden folgen, und ich muss schon sagen: "The Heap" hat so einiges zu bieten. Dazu gehört mit dem Vocalist Cartel, einer Geheimorganisation von voice actors without morals, auch die vielleicht schrägste Idee für eine Schurkenorganisation seit Jahren!

Mikrokosmos mit seltsamer Subkultur

Los Verticalés ist zu Romanbeginn zwar bereits eingestürzt. Ganz wollte sich Sean Adams aber das erzählerische Potenzial eines Mega-Hochhauses nicht nehmen lassen – ein durchaus klassisches Motiv der Science Fiction, denken wir etwa an J. G. Ballards "High-Rise". Zwischen die laufende Handlung sind daher Rückblickskapitel eingestreut, die das Leben im Wohnturm beschreiben. "The Later Years " betitelt, stammen sie aus einem Projekt, in dem die Displaced Travelers ihre Erinnerungen sammeln – also jene Turmbewohner, die zum Zeitpunkt des Einsturzes zufällig gerade auf Reisen waren.

Und es sind durchaus befremdliche Erinnerungen. Wir lesen etwa, wie sich im Turm sozialer Abstieg äußerte: nämlich indem man von einer Wohnung an der Außenseite in eine weiter innen gelegene wechseln musste, in der statt eines Fensters ein UV-Schirm den Tageszyklus simulierte. Um die Verkehrsbelastung im Gebäudeinneren gleichmäßiger zu verteilen, wurden diese Schirme dann schrittweise asynchronisiert, bis Los Verticalés ein Fleckerlteppich unterschiedlicher Zeitzonen war. Widerstand gegen solche Maßnahmen des "Gebäudepräsidenten" – einer Marionette des Bauherrn – gab es kaum: Die regelmäßig abgehaltenen Wahlen waren ein Witz, weshalb seine chancenlosen Herausforderer statt Programmen lieber gleich Show-Acts mit Gesang und tanzenden Hunden ablieferten.

In solchen Momenten geht "The Heap" ganz in die gewohnte Richtung von SF-Werken, die technologische Konstrukte als Metapher für die Gesamtgesellschaft verwenden. Egal, ob sich ein solches Konstrukt nun in die Höhe erstreckt wie Ballards "High-Rise" oder in die Länge wie der Zug in "Snowpiercer". Adams würzt seine Variante aber zusätzlich mit allerlei Seltsamkeiten: Da wird etwa der Wagenpark in der Tiefgarage von Los Verticalés zum Stundenhotel, oder die Bewohner führen im Treppenhaus Theaterstücke mit Zombie-Thema auf (Fernsehen gibt es hier nämlich auch nicht). Insgesamt haben sie eine äußerst seltsame Subkultur mit ganz eigenen Regeln entwickelt. Kein Wunder, dass die Displaced Travelers dem Leben im Turm nachtrauern und geradezu Entzugserscheinungen zeigen – für die Außenwelt sind sie längst nicht mehr geeignet.

Klare Empfehlung

"The Heap" passt in keine Schublade. Gesellschaftskritik vermählt sich mit dem Absurden, Human Drama mit Humor – ich könnte nicht sagen, worauf Sean Adams eigentlich hinauswollte. Angekommen ist er jedenfalls bei einer Bewertung, die ich in zwei Worten zusammenfassen kann: ein Vergnügen!