Noch mehr als sonst scheint unser eigener Wert davon abzuhängen, wie viel wir jetzt leisten.

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Ein, zwei Stunden Arbeitsweg werden gespart, Ausflüge sind abgesagt, viele sind nun in Kurzarbeit. Was tun mit der "gewonnenen" Zeit? Etliche Corona-Helden prahlen dieser Tage mit ihren Leistungen: endlich die Küche gründlich durchgeputzt, das Abstellkammerl entrümpelt, endlich löchrige Hosen repariert oder Ulysses fertiggelesen. Sie haben für sich das Beste aus der Krise gemacht, mit neu gewonnener Energie und einem Lächeln auf den Lippen.

Das ist hilfreich für alle, die die Isolation so nutzen und damit ihren Selbstwert steigern können. Doch das Zelebrieren dieser Errungenschaften im neuen Alltag setzt viele auch unter unnötigen Druck: Menschen, die aktuell sogar weniger Freizeit haben, weil sie sich um Kinder oder Eltern kümmern müssen. Alle, die beruflich noch stärker eingespannt sind als bisher. Und alle, denen auch mit ein bisschen mehr Freizeit einfach die Energie fehlt, um gerade jetzt nach Selbstoptimierung und Produktivität zu streben.

Leistung scheint unseren Wert zu bestimmen

Noch mehr als sonst scheint unser eigener Wert davon abzuhängen, wie viel wir leisten. Dieser Anspruch lässt manche Leute aufblühen. Viele treibt er an, über ihre Grenzen hinauszugehen – und früher oder später auszubrennen. Andere fühlen sich, als würden sie täglich scheitern.

Dabei muss uns bewusst sein: Schon einen normalen Alltag erfolgreich zu bewältigen ist eine Herausforderung. Dieser Satz mag selbsternannte Leistungsträger zum Schmunzeln bringen – aber nur so lange, bis sie erkennen, wie sie von ihren eigenen Privilegien gestützt werden. Mit einem starken sozialen Netz und einem guten Einkommen schupft sich das Leben halt leichter.

Nun müssen wir alle nicht die ohnehin schwierige Normalität meistern, sondern eine absolute Ausnahmesituation: Wir dürfen kaum die Wohnung verlassen, unsere sozialen Kontakte wurden zwangsminimiert, vielen stehen Gehaltseinbußen bevor. Die wirtschaftliche Zukunft ist ungewiss. Bis wann diese Einschränkungen gültig bleiben, ebenso. Wer sich schon vor der Corona-Krise Sorgen um die Zukunft machte, hat jetzt noch einige mehr.

Gutes in dieser Krise

Das alles ist eine enorme Herausforderung. Und wir halten uns nicht deshalb an die Regeln, weil wir der Regierungsspitze so hörig sind – sondern weil wir uns unserer Verantwortung allen anderen gegenüber bewusst sind. Alle, die jetzt zu Hause bleiben, leisten etwas für die Gesellschaft. Und zwar unter großen Entbehrungen und sehr schwierigen Bedingungen. Es gibt keinen Grund, jetzt noch über sich selbst hinauszuwachsen.

Das soll niemanden von lustvoller Produktivität abhalten: Vielen hilft es ja, sich ein Projekt zu suchen, viele sehen tatsächlich auch die Vorteile der aktuellen Situation. Wem es guttut, stundenlang Hauben und Schals für den nächsten Winter zu stricken, soll das tun.

Aber die Betonung liegt auf: guttun. Schwere Zeiten sind nicht dafür da, es sich selbst oder andern noch schwerer zu machen und zusätzliche Herausforderungen zu kreieren. Wenn irgendetwas Gutes aus dieser Krise entstehen kann, dann ist das ein neues Bewusstsein für unser eigenes Wohlbefinden und unsere seelische Gesundheit.

Vielleicht stellen manche nach der Isolation fest, dass ihnen Treffen mit Freunden und Familie abgegangen sind – und tägliche Produktivität und Hochleistung nicht. Dann hätten wir die Krise nicht nur überstanden, sondern auch noch etwas daraus gelernt. (Sebastian Fellner, 30.3.2020)