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Verlassene Straßen, wo man sonst kaum vorankommt. Weil sich die New Yorker nicht nur in die Wohnung, sondern auch in andere Staaten zurückziehen, wollte US-Präsident Trump eine Quarantäne für den Bundesstaat. Er setzte sie aber nicht durch.

Foto: AP / Bebeto Matthiews

Glaubt man dem, was Statistiker voraussagen, steht New York alles andere als eine rosige Zukunft bevor: Noch zwei bis drei Wochen könnte es dauern, bis der Höhepunkt der Coronavirus-Krise den Bundesstaat erreicht. Vorhersagen des Statistikteams der "Financial Times" sehen vor allem in New York City eine höhere Steigerungsrate an Fällen als in der Lombardei und im chinesischen Wuhan.

Das ist dramatisch, denn auch die Gegenwart, in der sich Stadt und Bundesstaat befinden, ist alles andere als beruhigend. Spitäler sind schon jetzt überlastet, Anrufe bei der Notrufnummer 911 haben sich gegenüber normalen Zeiten verdoppelt – auf einen Wert, wie ihn die Stadt seit den Anschlägen vom 11. September 2001 nicht mehr erlebt hat, wie die "New York Times" berichtet. Mehr als 59.000 Fälle gab es am Sonntag im Bundesstaat, 965 mit tödlichem Ausgang – Tendenz: stark steigend.

Defibrillatoren überlastet

Ärzte berichten von Szenen wie im Krieg, Sanitäter schildern, dass wegen der vielen Corona-bedingten Herzanfälle Batterien der Defibrillatoren leerlaufen. Das hat mit dem unbarmherzigen Verlauf mancher Covid-19-Erkrankungen zu tun. Menschen, die schon vor einigen Tagen wegen der Platznot in Spitälern mit scheinbar moderaten Symptomen nach Hause geschickt worden waren, erreichen nun jene Phase der Krankheit, in denen sich bei manchen Fällen das klinische Bild schnell verdunkelt.

Die Stadt, in der bisher noch jede Katastrophe am sprichwörtlichen Stursinn ihrer Bewohnerinnen und Bewohner zerschellt ist, wirkt wie gelähmt. Von einer Woche hat Gouverneur Andrew Cuomo Ausgangssperren erlassen und jene, die doch hinausgehen müssen, zur Distanzierung verpflichtet. Um sie möglich zu machen, wurden einige jener Straßen zu vorübergehenden Fußgängerzonen gemacht, auf denen sonst Tag und Nacht der Taxi- und Berufsverkehr allenfalls zähflüssig vorankommt.

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"Sie sind sehr infektiös!"

Die Stadt leert sich aber nicht nur in die Kellerwohnungen und Apartments – sondern auch ins restliche Land. Zu viele New Yorker würden sich auf den Weg in ihre Ferienhäuser nach Florida machen und das Sars-CoV-2-Virus in den pensionistenreichen Staat einschleppen, befand am Samstag US-Präsident Donald Trump. "Wir wollen das nicht, sie sind sehr infektiös", sagte der New Yorker mit dem berühmten Zweitwohnsitz in floridianischen Mar-a-Lago. Er denke darüber nach, New York, New Jersey und Teile des angrenzenden Connecticut unter Quarantäne zu stellen.

"Eine Kriegserklärung gegen Bundesstaaten" nannte dies wenig später Gouverneur Cuomo, der zu bedenken gab, dass so die New Yorker Wirtschaft einfrieren würde, die immerhin zwölf Prozent zum US-amerikanischen BIP beiträgt. Zudem sei ihm nicht klar, wie die Maßnahme rechtlich umsetzbar sei. "Die Kurse werden fallen wie ein Stein", sagte er weiter, und erreichte wohl damit den Präsidenten, der die Wall Street stets im Auge hat. "Eine Quarantäne wird nicht notwendig sein", twitterte dieser. Seuchenexperten hatten gewarnt: Allein Gerede über Quarantäne könne eine ansteckende Fluchtbewegung auslösen.

"Sehr strenge Maßnahme", aber Osterfeste

Die harte Maßnahme hätte für Trump, der die Gefährlichkeit des Coronavirus lang heruntergespielt hatte, einen Kurswechsel bedeutet. Seit Tagen laviert der Präsident schon zwischen den beiden Polen: Bei seinen täglichen Pressekonferenzen pflegt er mehr als eine Stunde lang Fragen der Reporterinnen und Reporter zu beantworten, die ihm nur noch in kleinen Gruppen gegenübersitzen. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass er in einem Moment die Notwendigkeit "sehr strenger Maßnahmen" betont und im nächsten das Ende aller Vorgaben für die Osterfeiertage herbeiredet.

Die Unfähigkeit, schlechte Nachrichten zu formulieren und zu übermitteln: Sie ist dem Präsidenten geblieben. Auffällig ist aber, dass er – abseits rhetorischer Scharmützel mit der Presse – auf harte Worte verzichtet. Immer wieder betont er, wie gut seine Kooperation mit demokratischen Gouverneuren sei, am Freitag freute er sich gar über "faire Berichterstattung" in den Medien.

Maßnahmen verlängert

Sonntag, im Rosengarten des Weißen Hauses, zeigte sich Trump gedämpft. Er verglich die aktuelle Situation mit der Spanischen Grippe von 1918, die 75 bis 100 Millionen Opfer gefordert habe – eine Zahl, die über der Einschätzung der meisten Historiker von 50 Millionen liegt. Keine Rede mehr von einem Ende der sozialen Distanzierung zu Ostern. Man dürfe nicht jetzt, wo man gewinne, nachlassen. Daher würden die Richtlinien der Regierung, die eine Eindämmung des Virus bewirken sollen, bis 30. April verlängert. Trumps Berater Anthony Fauci hatte da schon von bis zu 200.000 Menschen gesprochen, die in den USA sterben könnten – Trump nannte bei seiner Ansprache sogar die Zahl von 2,2 Millionen, wenn man gar nichts tue.

Ob es die neue Verbindlichkeit des Präsidenten ist oder der Effekt, sich in der Krise hinter dem Staatschef zu sammeln – in Umfragen wird Trumps Vorgehen honoriert: Nur noch wenige Prozentpunkte trennen ihn im Schnitt von einer Zustimmungsrate im positiven Bereich. In einzelnen Umfragen hat er sie schon erreicht. Es wäre das erste Mal seit seinem Amtsantritt 2017.

Exportschlager Beatmungsgerät

Das heißt aber nicht, dass es ein grundsätzlich anderer Trump wäre, der nun vor den Medien steht. Erst Freitag lieferte er sich ein öffentliches Duell mit General Motors, das er zur dringenden Produktion von Beatmungsgeräten aufforderte – nachdem er selbst tagelang betont hatte, es gebe in den USA mehr als genug davon. 100.000 in hundert Tagen sollen es nun sein, sagte er am Abend, als er die Firma mit einem Gesetz zur Kriegswirtschaft zur Produktion verpflichtet hatte. Wenn man sie nicht selbst brauche, könne man sie doch auch gut exportieren – "an Staaten, die unsere Freunde sind".

Vorläufig sieht es aber so aus, als hätte das Land selbst Bedarf. 124.000 Fälle waren laut der Johns-Hopkins-Universität bis Sonntag registriert, mehr als irgendwo anders auf der Welt. Mehr als 2200 Tote gab es bereits landesweit zu beklagen. Dass die Zahlen nun so rasant steigen, hat aber nicht nur mit der Krankheit zu tun: Nach langem Zögern sind die USA nun beim Testen in die Gänge gekommen. (Manuel Escher, 30.3.2020)