Schnell noch einen Elternbrief schreiben, einen Nachtrag zum Elternbrief und einen Nachtrag zum Nachtrag. Die Volksschuldirektorin Saskia Hula hatte knapp vor dem Corona-bedingten Unterrichtsende alle Hände voll zu tun. Stündlich habe sich etwas geändert. Aber auch wenn es für eine solche Situation keine Anleitung gebe – mit Improvisation und Hausverstand habe eigentlich alles ganz gut funktioniert, sagt Hula. Zeit und Muße für ein neues Kinderbuch hat sie trotzdem nicht.

STANDARD: Es gibt Kinder und Jugendliche, die sprechen von "Corona-Ferien": Gibt es die überhaupt?

Hula: Ich glaube nicht, dass viele Kinder und Jugendliche diese Zeit als Ferien empfinden. Und wenn doch, dann als äußerst langweilige Zeit ohne Urlaub, dafür mit Nachprüfung am Ende.

STANDARD: Auch wenn offiziell nur Lerninhalte wiederholt werden sollen: Das werden viele anders handhaben. Das heißt, am Ende werden die Schülerinnen und Schüler einen ganz unterschiedlichen Wissensstand haben, oder?

Hula: Den haben sie sowieso. Darüber wird nur gern hinweggesehen. Der gleiche Wissensstand ist auch nicht das Ziel von Lernen. Ich sehe, gerade was das Bildungssystem betrifft, auch eine Chance in dieser Krise. Bisher hat immer der Mut gefehlt, Schule einmal ganz anders zu denken. Jetzt bleibt einem gar nichts anderes übrig.

Ginge es nach ihr, bräuchte es heuer keine Maturaprüfungen, sagt Direktorin Hula. Man könnte ja auch eine Arbeit abliefern.
Foto: Hula

STANDARD: Haben Sie Tipps, wie Schule zu Hause gelingen kann?

Hula: Kommt darauf an, was man unter Schule versteht. Wenn man in zwölf verschiedenen Fächern alle Arbeitsaufträge abarbeiten möchte oder muss, dann ist eine Einteilung sicher sinnvoll. Ich halte das nicht für zwingend. Es geht ja bei all dieser Geschäftigkeit auch um ganz andere Dinge: nämlich darum, dass Lehrkräfte zeigen, dass sie nicht im Urlaub sind, sondern sich um ihre Schülerinnen und Schüler kümmern; dass die Kinder zu Hause eine Beschäftigung haben; dass Zukunftsängste abgebaut werden.

STANDARD: Überfordert man nicht auch Eltern ein Stück weit?

Hula: Manche Eltern sind völlig fertig, weil ihre Kinder so viele Arbeitsaufträge haben und sie dauernd mit ihnen lernen müssen. Das ist kontraproduktiv. Diese Zeit ist ja sowieso nicht leicht. Diese Krise trifft eine Gesellschaft, in der alles superoptimiert ist, jeder muss funktionieren, jeder ist bis zu seinen Grenzen gefordert. Wenn man jetzt auch noch seinen Job von zu Hause machen und nebenbei seine Kinder unterrichten muss, dann ist das ein Anspruch, der noch mehr belastet. Niemand braucht jetzt zusätzlich den Stress, seine Kinder könnten ins Hintertreffen geraten.

Niemand braucht jetzt zusätzlich den Stress, seine Kinder könnten ins Hintertreffen geraten.

STANDARD: Es scheitert doch oft auch schon an den Basics: Viele Haushalte besitzen keinen oder maximal einen Computer für mehrere Familienmitglieder.

Hula: Das ist richtig. An meiner Schule kann man zum Beispiel nicht davon ausgehen, dass jede Familie einen Computer hat. Deswegen stellen wir das Material auch in Papierform zur Verfügung. Die Eltern können es auf dem Weg zum Supermarkt mitnehmen. Man kann aber auch Arbeitsaufträge per Handy verschicken. Die sind dann halt ein bisschen offener gehalten, was ja nicht unbedingt schadet.

STANDARD: Was bedeutet diese schulfreie Zeit für Kinder, die schon im regulären Schulalltag kaum Unterstützung von zu Hause bekommen?

Hula: Das ist ein großes Problem, denn die große Kluft zwischen den gut geförderten Kindern und jenen, die wenig Unterstützung haben, wird natürlich jetzt noch größer. Besonders schwierig ist es auch für Familien, die noch nicht so gut Deutsch sprechen.

STANDARD: Wie kann man Kindern aus solchen Familien helfen?

Hula: Man kann nur versuchen, den Kindern und den Eltern Möglichkeiten in die Hand zu geben, egal ob analog oder digital. Das Internet ist ja eine unerschöpfliche Quelle – wenn man es schafft, die Eltern mit den richtigen Links zu versorgen, hat man wenigstens eine Chance. Aber eines ist klar: Man ist nicht allmächtig.

STANDARD: Kann der Stoff überhaupt je nachgeholt werden?

Hula: Stoff ist etwas für Dealer, hat der deutsche Philosoph Richard David Precht einmal gesagt. Ich begegne dem Wort "Stoff" nur mehr mit Vorsicht. Können Sie sich an alles erinnern, womit Sie in Ihrem Schulleben konfrontiert waren? Wir haben doch 90 Prozent davon wieder vergessen. Ich mache mir also keine Sorgen um den Stoff, sondern um die Kinder. Für deren Lebensglück ist der Stoff nicht entscheidend.

STANDARD:Im Herbst fangen die neuen ersten Klassen in NMS und Gymnasium an. Gehören da Abstriche gemacht, braucht es Hilfe?

Hula: Das wird sicher spannend. Natürlich hängt der Lernerfolg in den weiterführenden Schulen ganz entscheidend davon ab, unter welchen Voraussetzungen ein Kind bisher lernen konnte – im Kindergarten, in der Volksschule, in der Familie. Es wäre also der logische Schritt, sich zuerst diese Lernvoraussetzungen anzusehen und sich dann darauf aufbauend an die Arbeit zu machen.

STANDARD: Einige Schulleitungen können sich vorstellen, im Abtausch über die Sommerferien zu unterrichten. Sie auch?

Hula: Nein, wirklich nicht.

STANDARD: Können Lehrkräfte auch ohne Schularbeiten eine Abschlussnote vergeben?

Hula: Grundsätzlich muss in einem Halbjahr die Hälfte der Schularbeiten geschrieben sein. Jetzt sind aber in so kurzer Zeit so viele Dinge passiert, die man nie im Leben für möglich gehalten hätte – da könnte es doch durchaus auch möglich sein, Noten ganz ohne Schularbeiten zu vergeben.

STANDARD: Sollten Lehrkräfte im Sommer verpflichtet werden? Was wäre mit einer späten Notmatura?

Hula: Ginge es nach mir, würde jeder, der es in die Maturaklasse geschafft hat, zu Hause eine Arbeit über ein Thema seiner Wahl schreiben und hätte damit die Matura gemacht. Aber nach mir geht es natürlich nicht.

STANDARD: Würden Sie sich von Bildungsminister Heinz Faßmann wünschen, dass er genau das ermöglicht?

Hula: Ich weiß nicht, ob er das überhaupt kann.

STANDARD: Was schätzen Sie: Werden Sie Ihre Schülerinnen und Schüler vor den Sommerferien noch einmal sehen?

Hula: Ich rechne nicht damit und freue mich, wenn es anders ist. (Peter Mayr, Karin Riss, 30.3.2020)