"Man muss aus diesem kollektiven Denken herauskommen und der eigenen Echokammer entkommen: We need to understand difference and celebrate it!", sagt Nina Goswami von der britischen BBC.

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Das Projekt 50:50 ist eine Initiative zur Gendergerechtigkeit in der Medienbranche. Eigentlich hätte die BBC-Journalistin Nina Goswami dieser Tage das Projekt beim International Journalism Festival in Perugia vor einer Vielzahl von Medienschaffenden vorgestellt. Goswami trägt die schöne Funktionsbezeichnung BBC Creative Diversity Lead.

Vor gut einem Monat wurde das Festival, das seit 2006 in der italienischen Provinz Umbrien stattfindet, aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt. Bereits zu diesem Zeitpunkt war klar: Das Interview mit Goswami wird über Videoanruf stattfinden müssen – seither steht nicht nur in Italien das öffentliche Leben still.

Die Idee zur Initiative kam von Ros Atkins, Moderator der Nachrichtensendung "Outside Source", als er 2016 auf einer Autofahrt von London nach Cornwall im BBC-Radio keine einzige Frauenstimme hörte. Ihm wurde bewusst, wie unterrepräsentiert Frauen im Journalismus sind, und er wollte etwas dagegen tun.

Atkins setzte dabei auf ein "grassroots-movement": Das Projekt sollte also aus der Basis ("Heart of the BBC") wachsen und vom Management nur unterstützt, aber nicht aufgezwungen werden. Im Jänner 2017 startete die Initiative so richtig, und innerhalb eines Jahres haben 500 BBC-Teams den Vorsatz einer geschlechtergerechten Aufteilung erfüllt: vor der Kamera sowie am Mikrofon.

Frage: Wie haben die Kolleginnen und Kollegen auf das Projekt 50:50 reagiert? Gab es auch Gegenwind?

Goswami: Ja, den gab es – wir nennen es "push-backs". Zuerst gab es Bedenken wie "Man sollte eine Frau nicht nur aufgrund der Tatsache, dass sie eine Frau ist, einem Mann vorziehen". Deswegen haben wir eine goldene Regel aufgestellt: Der beste Mitwirkende nimmt immer Teil, und es ist egal, ob Mann oder Frau, solange die Person der/die Beste auf einem Gebiet ist. Der zweite Pushback ist das Zeitmanagement, dafür haben wir eine 50:50-Datenbank errichtet mit über 2000 weiblichen Expertinnen. Auch in der jetzigen Corona-Krise haben wir die Datenbank mit für die Thematik entsprechenden Kontakten erweitert.

Frage: Haben sich die Programme und Inhalte seit Beginn der Initiative verändert?

Goswami: Absolut! Es geht uns darum, neue Stimmen und Geschichten zu finden, um so die Inhalte mit mehr Vielfalt zu bereichern. Die Programme sollen die Gesellschaft widerspiegeln, und das geht eben nur, wenn wir eine Hälfte der Bevölkerung genauso miteinbeziehen wie die andere. Studien haben gezeigt, dass die Zufriedenheit unseres Publikums, besonders bei der Alterskohorte der 16- bis 24-Jährigen, deutlich gestiegen ist, weil sich die Zuschauer/Zuhörer mit Inhalten der Programme besser identifizieren konnten.

Frage: Die Idee von 50:50 soll jetzt auch für andere Personengruppen angewendet werden, für Menschen unterschiedlicher Ethnien und für Menschen mit Behinderung. Wie entwickelt sich das?

Goswami: Das Projekt hat diesen März begonnen, und aufgrund der aktuellen Lage können manche Teams nicht arbeiten, daher können wir noch keine Prognosen stellen. Unser Ziel ist jedenfalls, zwölf Prozent Beteiligung von Menschen mit Behinderung und 15 Prozent von bestimmten Ethnien bei der BBC zu erreichen.

Frage: Was raten Sie angehenden Journalistinnen und Journalisten, die einer Minderheit angehören?

Goswami: Zeig ihnen, was du kannst! Den Aspekt, den du beitragen kannst, kann vielleicht niemand anderer in deiner Redaktion rüberbringen. Du kannst Geschichten erzählen, die jemand anders nicht erzählen kann – das ist spannend, und das ist es, was Journalismus momentan braucht. Man muss aus diesem kollektiven Denken herauskommen und der eigenen Echokammer entkommen: "We need to understand difference and celebrate it!"

Gerechtigkeit von unten

Geschlechtergerechte Verteilung ohne Quote funktioniert also von der Basis her und nicht, wenn sie von oben aufgezwungen wird. Freiwilligkeit und mit gutem Beispiel vorangehen hat bei über 500 BBC-Teams und vielen externen Partnern der Initiative – darunter ABC News, Voice of America, "Financial Times" – funktioniert. (Anna Caroline Kainz, 1.4.2020)