Die Wiener Stadtregierung fordert mehr Bewegungsfreiheit für die Wienerinnen und Wiener. Die Bundesregierung verkündet dagegen eine weitere Verschärfung der Schutzmaßnahmen – von Lockerung der Ausgangsbeschränkungen ist vorerst keine Rede. Wer dem Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) zuletzt zuhörte und wer im Gegenzug Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Montag vernahm, konnte deutlich erkennen: Der nationale Schulterschluss, die bisher gepflegte Einträchtigkeit des von Kurz proklamierten "Team Österreich" bekommt erste Risse.

Das ist gut so. Differenzen beleben die Debatte – und genau das brauchen wir, damit die Bevölkerung bei der Stange und ausreichend diszipliniert bleibt.

Die Bundesgärten, im Bild der Augarten, bleiben geschlossen.
Foto: APA/HERBERT P. OCZERET

Es ist schon okay, wenn die Mitglieder der Bundesregierung "Verharmloser" kritisieren und davor warnen, das Virus und seine unheimliche Verbreitung zu unterschätzen. Genauso okay ist es aber auch, wenn Vertreter der Bundeshauptstadt sagen, dass es nicht so einfach ist, eine Millionenstadt wie Wien einfach abzuriegeln. Die Wohnverhältnisse in Städten sind beengter als auf dem Land. Da ist es wichtig, Möglichkeiten zum Hinausgehen, zur Bewegung an der Luft zu eröffnen. Rund 261.000 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre haben, vorwiegend in Österreichs Städten, nicht mehr als 14,4 Quadratmeter Wohnraum zur Verfügung. Das kann sehr bald zu einem psychosozialen Problem werden – dem muss man sich stellen.

Ebenso prekär ist die Lage für die vielen Klein- und Kleinstunternehmer, denen bisher jede Perspektive fehlt, bis wann der Ausnahmezustand für sie gilt – und bis wann private Geldreserven, sofern vorhanden, reichen müssen.

Im Umgang mit der Krise ist auch entscheidend, wer welcher Expertise vertraut – und welcher Expertengruppe. Wir wissen beispielsweise noch zu wenig über die Verbreitung des Virus. Anscheinend trifft es bestimmte Bevölkerungsgruppen in bestimmten Gegenden weniger hart als andere. Vielleicht ergibt es Sinn, bei seiner Bekämpfung lokal unterschiedlich vorzugehen – und abgestimmt auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Der geplante erhöhte Schutz von Risikogruppen geht genau in diese Richtung.

Darüber muss dringend diskutiert werden – und zwar so kontrovers wie möglich. Denn zu viel Eintracht gebiert am Ende Einfalt – und die kann man bei der Bekämpfung des Virus am wenigsten brauchen. (Petra Stuiber, 30.3.2020)