Am Montag landeten zwei Charterflüge voller Betreuerinnen aus dem Osten. Weitere könnten folgen.

Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Anja* ist geduldig. Den dritten Tag sitzt die rumänische 24-Stunden-Betreuerin nun in einem Hotel in Schwechat, elf weitere werden folgen. Sie ist versorgt, das Essen ist gut, sagt sie. Vorgestern war die Chefin da und fragte, was sie brauche, während sie isoliert ist.

Am Montag kam Anja mit einem Flieger aus Rumänien in Österreich an, in einer Hauruck-Aktion holten das Land Niederösterreich und die Wirtschaftskammer (WK) Niederösterreich in Abstimmung mit dem Außenministerium aus Sofia und Temeswar 231 Betreuerinnen ins Land. Ein Tropfen auf den heißen Stein bei 33.000 Personen mit 24-Stunden-Betreuungsbedarf. Aber auch ein Anfang – weitere Flüge sollen folgen.

Es ist eine bemerkenswerte politische Schubumkehr, die gerade in Österreich vollzogen wird. Da werden ausländischen Pflegerinnen durch die Indexierung des Familienbeihilfe Gelder für deren Kinder gekürzt – zumal die Hilfen seit 2019 an die Lebenshaltungskosten des jeweiligen Wohnstaates angepasst werden. Und nun – in Zeiten der Corona-Notlage – werden rumänische und bulgarische Pflegerinnen geradezu hofiert und mit Charterflügen eingeflogen.

Immerhin: Das ganze System steht auf dem Spiel. Geschätzte 60.000 bis 70.000 Frauen pflegen österreichische Betagte und Kranke zu Hause und rund um die Uhr. Sie kommen zum überwiegenden Teil (zwei Drittel) aus Rumänien und der Slowakei, gefolgt von Ungarn, Tschechien, Kroatien, bisweilen auch Lettland. Nun können sie aufgrund diverser neuer Grenzregelungen nicht mehr so wie früher ungehindert ihren 14-, 21- oder 28-Tages-Rhythmus einhalten.

Agenturen profitieren von den Flügen

Der Transport per Flugzeug Anfang der Woche hatte daher dreierlei Funktionen: Er soll das österreichische Pflegesystem vor dem Kollaps bewahren und den Frauen die Möglichkeit geben, ihrer Arbeit nachzugehen. Er sollte aber auch den Vermittlungsagenturen ihre Existenzgrundlage sichern. Und das – für die Agenturen – recht günstig: Die Kosten für die Flüge, 50.000 Euro, übernahm für Betreuerinnen, die in Niederösterreich arbeiten, das Land Niederösterreich, die Kosten für die Quarantäne, 20 Euro pro Frau und Tag, die Wirtschaftskammer Niederösterreich beziehungsweise die WK Wien – zumindest wenn die Frauen im eigenen Bundesland eingesetzt werden.

Zu jenen Agenturen, die den Flug nutzten, zählt auch Cura Domo, deren Geschäftsführer just jener Fachgruppenobmann der WK Niederösterreich ist, der die Flüge organisiert hat. Dass er von der Aktion profitiert, will Robert Pozdena gar nicht abstreiten. "Ja, im Flieger sind auch Pflegerinnen für meine Agentur drinnen gesessen. Aber es sind alle Plätze gerecht aufgeteilt worden", sagt er im Gespräch mit dem STANDARD.

Suche nach Normalität in der Panik

Untern den Pflegekräften wächst unterdessen der Unmut über die Flüge. "Was wir brauchen, ist Normalität", sagt 24-Stunden-Betreuerin Hajnalka Antal, die auf Facebook unter Kolleginnen aus verschiedenen Ländern für Vernetzung sorgt. "Nicht nur Lösungen für einen kleinen Teil." Immerhin sei auch das Problem für alle dasselbe. Viele Frauen, die noch in Österreich sind, seien mittlerweile in Panik – sie wollen nach Hause, haben aber Angst, dass sie nicht mehr zurück in die Arbeit kommen.

Was die Pflegerinnen aber ebenso sorgt, ist ihre Gesundheit und die ihrer Pfleglinge. Viele Frauen sind selbst schon im Risikoalter, auch Schutzkleidung gibt es nicht. Weil sie als "nicht systemrelevant" angesehen werden, so sagt die WK, habe man keinen Zugang zu Tests. In einer ungewöhnlichen Allianz sind sich Betreuerinnen, Vertreter der Wirtschaftskammer und auch der streitbare Pflegeaktivist der ersten Stunde, Klaus Katzianka, der selbst einer 24-Stunden-Pflege bedarf und eine Agentur besitzt, einig: Die 24-Stunden-Betreuerinnen müssen getestet werden. "Nur damit bekommen wir Sicherheit und wieder Stabilität", sagt Katzianka.

Erste Fälle von infizierten Betreuerinnen gibt es bereits. In Tirol soll eine Betreuerin mit Sars-Cov-2-Infektion in Lebensgefahr schweben, erzählen sich Betreuerinnen untereinander. Die Wirtschaftskammer Tirol bestätigt das nicht – eine Fall aber gab es tatsächlich, die Frau sei im Krankenhaus, die Familie isoliert. Auch in der Steiermark, im Bezirk Graz-Umgebung, wurde bereits eine Pflegerin aus Rumänien positiv auf Covid-19 getestet und in einem von der Wirtschaftskammer angemieteten Apartment isoliert untergebracht. "Sie wird medizinisch betreut, hat Internetanschluss, es wird für sie rundum gesorgt", sagt der Bundesobmann der Fachgruppe der Personenbetreuer, Andreas Herz. Auch die von der Pflegerin Betreute ist mittlerweile in Quarantäne. Sollten noch weitere Pflegerinnen krank werden, könnte das Apartmentkontingent erweitert und Hotels angemietet werden.

Dass Gesundheitspersonal bald verstärkt getestet wird, kündigte die Regierung bereits an. Auf die Frage, ob 24-Stunden-Betreuerinnen da mitgemeint sind, heißt es aus dem Gesundheitsministerium aber: "Das ist alles in Definition." Der Fokus liege nun primär auf der Frage, wie man die Frauen herbekomme.

Ein Korridor als Lösung

Einen Lösungsvorschlag dafür gebe es, auch der kommt von Kammervertretern und Betreuerinnen unisono. "Was wir brauchen, ist ein Korridor, durch den sie ganz normal einreisen können", sagt Herz, fast wortgleich fällt der Satz von Antal. Denn die aktuelle Situation würde in der Betreuungsbranche – ohnehin eine, in der schwarze Schafe sich schnell und weit ausbreiten – bereits zu Wildwüchsen führen. Antal erzählt von Taxiunternehmen, die mit ungarischen Autos den Transport von Wien bis zur ungarisch-rumänischen Grenze anbieten. Dort gehen die Frauen zu Fuß über die Grenze nach Rumänien. Der Preis: 500 Euro. 50 Euro kostet der Weg in Zeiten des Normalzustands.

Ein Korridor ist derzeit jedoch nicht in Aussicht. Der österreichische Weg: Man versucht, die Betreuerinnen mit Boni im Land zu halten – Boni, die von Bundesland zu Bundesland schwanken. Bleiben die Frauen dennoch aus, müssen die zu Pflegenden ins Heim. Und weil Heimplätze knapp sind, werden Gebäude umfunktioniert, etwa Rehazentren, "eventuell Bildungshäuser, barrierefreie Hotels" und andere derzeit leerstehende Gebäude, heißt es vom Gesundheitsministerium. "Für demente Patienten ist das ein Schock", sagt Antal, "das kann nicht die Lösung sein."

Weitere Flüge sollen folgen

Bis eine Lösung gefunden wird, behilft man sich weiter mit Einzelgängen, weitere Charterflüge sollen geplant sein. In sozialen Medien rufen rumänische Agenturen Frauen im Osten dazu auf, sich auf den Weg zu machen. So sollen etwa 30 bis 40 Betreuerinnen von Temeswar aus in die Regionen Wien und Burgenland gebracht werden, 25 Kräfte sollen mit "speziellen Transportlösungen" aus verschiedenen Ecken Rumäniens nach Österreich kommen – man arbeite an "wöchentlichen Flügen", heißt es. In den meisten Postings ist direkt der Hinweis, dass in Österreich eine 14-tägige Quarantäne angetreten werden muss. Die ÖVP Burgenland fordert gar eine Luftbrücke für Pflegekräfte der 24-Stunden-Betreuung.

Austrian Airlines wird zwar derzeit nur auf Auftrag der Regierung tätig, sehr wohl aber können auch Privatpersonen oder Firmen bei Bedarfsflugunternehmen kleinere Flieger chartern. Das Außenministerium gibt an, sollten weitere Heimkehrerflieger mit Betreuerinnen aufgefüllt werden – wie am Montag aus Sofia und Temeswar –, werde man sich "dem nicht verweigern".

Anja, die Betreuerin, die nun im Schwechater Hotel sitzt, weiß nicht, ob und wann es eine Ablöse für sie ins Land schaffen wird – und damit auch nicht, wie lange ihr Turnus dauern wird. Nur dass sie in Vorarlberg eingesetzt wird. "Vielleicht zwei Monate?", rät sie. Für die Zeit in Quarantäne wird sie nicht bezahlt – weder von der Familie noch von der Agentur. Aber ob sie nun hier oder in Rumänien sitzt, sagt sie, mache keinen Unterschied. Außerdem brauche die Familie das Geld – der Mann hat seinen Job in der Fabrik mittlerweile verloren, die Eltern sind auf Medikamente angewiesen. "Und wer weiß, wie lange dieses Virus noch bleibt", sagt Anja. (Walter Müller, Gabriele Scherndl, 1.4.2020)

*Name redaktionell geändert.