Die Ausgangsbeschränkungen und Auflagen für das "Social Distancing" aufgrund der Coronavirus-Pandemie haben nicht nur profunde Folgen für unsere Arbeit und Freizeitgestaltung. Auch das Beziehungsleben vieler Menschen wird durcheinandergewirbelt. Paare, die nicht gemeinsam wohnen, müssen auf körperliche Nähe verzichten. Auch Partys und Dates fallen aus.

Die Betroffenen versuchen die Einschränkungen weitestgehend auf digitaler Ebene zu kompensieren, was aber nur bis zu einem gewissen Grad möglich ist. Diese Belastungsprobe ist für manch andere allerdings ein Grund zur Freude. Ein Teil der "Incel"-Gemeinde feiert den Lockdown, wie der "New Statesman" von Reddit, 4chan und anderen Plattformen dokumentiert. Eine Rundschau des STANDARD bestätigt diesen Eindruck.

Jubelstimmung

Der Begriff "Incel" steht für "involuntary celibate", also jemanden, der unfreiwillig ohne Sex lebt. Unter dieser Bezeichnung hat sich online eine heterogene Gemeinschaft gefunden. Während viele Incels Selbsthilfe und Geborgenheit im Austausch mit anderen "Betroffenen" suchen, zeigt eine Gruppe stark menschenfeindliche Züge. Insbesondere attraktive Frauen sind zum Feindbild geworden.

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In diesen Kreisen werden aktuell Jubelpostings verfasst. Insbesondere der Lockdown in Großbritannien hat hier zu vermehrter Aktivität geführt. "Foids" würden jetzt "weinen und leiden". "Ich bedanke mich bei der Person, die eine Fledermaus gegessen hat, dafür, dass ‘Roasties‘ jetzt Nervenzusammenbrüche haben, weil sie wochenlang nicht mehr von einem ‘Chad‘ heimgesucht werden können." Ein anderer User schreibt: "Dass Chad und Stacy gerade keinen promiskuitiven Sex haben können, macht mich ehrlich gesagt sehr glücklich."

Coronavirus als "Geschenk Gottes"

In dieser Subkultur werden mittlerweile zahlreiche Eigenbegriffe verwendet. "Foids" ist etwa ein abwertendes Wort für sexuell aktive Frauen, "Roasties" bezeichnet attraktive Frauen. "Chad" und "Stacy" stehen für besonders attraktive und im Klischee vor allem voneinander angezogene Männer und Frauen, die auch Teil der "Normies" – also "Durchschnittsbürger" – sind.

Fallweise wird dem Coronavirus regelrecht gehuldigt. Dieser wird als "St. Coronavirus" oder ein "Geschenk Gottes" bezeichnet. Zudem erfreut man sich daran, dass vielen Leuten nun auch viele (stereotype) Freizeitaktivitäten wie der Gang ins Fitnessstudio verwehrt bleiben. Denn nun müssten sie auch online gehen, um zumindest "ein klein wenig Aufmerksamkeit" zu bekommen.

Unter die Postings mischt sich aber bereits auch Sentimentalität über das Ende dieses Zustands nach Vorübergehen der Pandemie, wenn sich "die Chads und Stacys dieser Welt" wieder nach Lust und Laune treffen könnten. "Foids machen unsere Gesellschaft viel schlimmer, als es das Coronavirus je könnte", meint ein Nutzer.

Lange unterschätztes Gewaltpotenzial

Radikale Incels konnten lange Zeit unbehelligt im Netz ihrem Frauenhass freien Lauf lassen. Seit dem Amoklauf von Elliot Rodger im kalifornischen Isla Vista ist diese Gruppe aber auch zunehmend ins Visier der Behörden und Onlineplattformen gelangt. Reddit hat auch auf die aktuellen Hasspostings reagiert und unter anderem das "Shortcels"-Forum vor einigen Tagen gesperrt.

Elliot Rodger hatte vor der Tat ein Manifest veröffentlicht, in dem er seinen Hass auf Frauen und ihre Ablehnung gegenüber ihm zum Ausdruck bringt. Einige Incels erklärten ihn posthum zum "heiligen St. Elliot" und Märtyrer. Auch Alek Minassian, der 2018 im kanadischen Toronto mit einem Lieferwagen zahlreiche Menschen überfahren hat, wird mit dieser Bewegung in Verbindung gebracht. Er hatte sich nach eigenen Angaben in einschlägigen Foren radikalisiert. (gpi, 1.4.2020)