Seit Jahren wird debattiert, wie weit Überwachung gehen darf. Das Coronavirus könnte ein Wendepunkt sein. Datenschützer schlagen weltweit Alarm.

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Im Kampf gegen die rasante Ausbreitung des Coronavirus setzen Staaten zunehmend auf die Überwachung von Handydaten und erstellen so beispielsweise Bewegungsprofile von Infizierten. Auch in Österreich gibt es eine hitzige Debatte darüber.

Datenschützer und Menschenrechtsaktivisten sind besorgt: Sie befürchten weitgehende Eingriffe des Staates in die Privatsphäre der Bürger – und einen Dammbruch bei der Überwachung.

Der deutsche Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber pocht darauf, dass ein Handytracking auf dem Grundsatz der Freiwilligkeit basieren müsse. Doch in anderen EU-Staaten wie Polen werden solche Lokalisierungs-Apps für Infizierte schon verpflichtend eingesetzt: Um zu prüfen, ob der Betroffene an seinem Ort der Quarantäne bleibt, wird er über die App mehrmals am Tag unangekündigt aufgefordert, ein Selfie zu machen, das mit einem ersten Bild von dem Quarantäneort übereinstimmt. Kommt der Infizierte dem nicht nach, bekommt er Besuch von der Polizei, es drohen auch Geldstrafen.

Außergewöhnlicher Eingriff

"Regierungen in aller Welt verlangen außergewöhnliche neue Überwachungsrechte, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen", erklärt die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation. Das bedeute aber Eingriffe in die Privatsphäre und eine mögliche Einschränkung der Meinungsfreiheit. "Regierungen müssen zeigen, dass solche Befugnisse tatsächlich effektiv wären, auf wissenschaftlichen Grundlagen basieren, notwendig und angemessen sind."

Auch die Bürgerrechtsorganisation Freedom House in den USA schlägt Alarm. "Wir beobachten eine Reihe besorgniserregender Anzeichen dafür, dass autoritäre Regime Covid-19 als Vorwand nutzen, um die Redefreiheit zu unterdrücken, die Überwachung auszuweiten und Grundrechte anderweitig einzuschränken", sagt Freedom-House-Präsident Michael Abramowitz. "Sie gehen dabei über das hinaus, was gesundheitspolitisch gerechtfertigt ist."

Ebenso besorgt ist der NSA-Whistleblower Edward Snowden, der vor Jahren die massive Überwachung des US-Geheimdiensts öffentlich machte: Er warnt davor, dass die Maßnahmen, die wir nun schaffen, Corona überstehen könnten. Denn Regierungen fühlten sich schnell wohl mit ihren neuen Befugnissen.

Erinnerung an 9/11

Einige Aktivisten erinnern an die Anschläge vom 11. September 2001, in deren Folge den US-Geheimdiensten weitreichende Überwachungsbefugnisse eingeräumt wurden. Sie sehen Parallelen zum heutigen Kampf gegen das Coronavirus.

Vor allem asiatische Länder greifen bereits umfassend auf Möglichkeiten des Handytrackings zurück. Das Ziel: Bewegungsprofile ermöglichen, Kontaktpersonen von Infizierten aufspüren und isolieren – aber auch überwachen, dass Infizierte sich an ihre Quarantäne halten.

Am weitesten geht wohl China. Dort gibt inzwischen ein QR-Code in den Farben Grün, Gelb oder Rot darüber Auskunft, ob sich jemand an Orten mit hohem Infektionsrisiko aufgehalten hat. Das wiederum entscheidet darüber, ob die Person beispielsweise Bahnhöfe und öffentliche Verkehrsmittel betreten darf.

Israel und Saudi-Arabien

Auch in autoritär regierten Staaten des arabischen Raums nutzen Regierungen das Coronavirus, um ihre Überwachungsbefugnisse auszubauen. Und in Israel wurde der mächtige Inlandsgeheimdienst Shin Bet mit der Sammlung von Daten über Infizierte und deren Kontaktpersonen beauftragt.

Der israelische Historiker und Bestsellerautor Yuval Noah Harari warnte kürzlich in der "Financial Times", die Pandemie könne zu einem "wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der Überwachung werden": "In den vergangenen Jahren hat eine große Schlacht um unsere Privatsphäre getobt. Die Coronavirus-Krise könnte zum Wendepunkt der Schlacht werden."

Auch in westlichem Demokratie

In westlichen Demokratien werden ebenfalls Tracking-Apps entwickelt. So könnten Handynutzer anhand ihrer Bewegungsprofile gewarnt werden, wenn sie sich in der Nähe eines Infizierten aufgehalten haben. Dabei könnte auch die Bluetooth-Technologie zum Einsatz kommen.

Auch in Österreich wird die Idee verfolgt, mit Apps gegen das Virus vorzugehen: Am vergangenen Mittwoch startete das Rote Kreuz die App "Stopp Corona". Nutzer können sich mit Personen, mit denen sie in Kontakt stehen, verbinden. Falls jemand Symptome entwickelt oder positiv getestet wird, erhält man eine Benachrichtigung.

Der US-Forscher Ryan Calo spricht von einer schwierigen Gratwanderung. Er habe nichts dagegen, dass Daten und Technologie im Kampf gegen die Pandemie eingesetzt würden. "Das Problem mit der Einführung von Überwachung in einer Notfallsituation ist, dass es die Menschen daran gewöhnen könnte."

Solche Bedenken teilt auch der Leiter des Zentrums für technologische Innovation der US-Denkfabrik Brookings Institution, Darrell West. "Es besteht das Risiko, dass diese Instrumente zur Normalität und auch dann weiter genutzt werden, wenn die Pandemie sich verlangsamt." (APA, AFP, muz, 31.3.2020)