Konrad Krainer ist trotz Corona für eine Matura im Jahr 2020.

Foto: Lydia Krömer

STANDARD: Eines der schwierigsten Themen in Corona-Zeiten ist die Matura. Was empfehlen Sie?

Krainer: Die Situation in den "Maturahaushalten" gestaltet sich vermutlich höchst unterschiedlich: Es wird Familien geben, in denen das einzige Kind ein bestens ausgestattetes Arbeitszimmer mit Alleinzugang zu einem leistungsfähigen Computer hat, unterstützt von zwei bildungsaffinen Eltern, die keine Existenzängste haben, bei bester Gesundheit sind und jede Unterstützung für die Matura anbieten können. Es wird aber auch Alleinerziehende geben, deren Kurzarbeit an einem dünnen Faden hängt, die es gerade einmal schaffen, das Nötigste einzukaufen, die Großeltern mit Lebensmitteln zu versorgen, Fragen nach der Versorgung der Kinder mit dem Ex-Partner auszuhandeln und es mit Mühe schaffen, den alten Laptop und das Wohnzimmer für einige Stunden dem Kind zu überlassen. Es wird auch Haushalte geben, in denen es noch schlimmer zugeht, weil ein (Groß-)Elternteil auf der Intensivstation liegt, der einzige Geldbringer arbeitslos wurde, der Laptop an die Firma zurückgegeben werden musste, die Betreuung für Kinder weggefallen ist und Lernen in der kinderreichen Familie außerordentlich schwierig ist – lärmmäßig, räumlich, sozial und zeitlich.

STANDARD: Wie kann man diesen unterschiedlichen Problemlagen angemessen und fair begegnen?

Krainer: Allen ist wohl gemeinsam, dass sie rasche Klarheit wünschen, ob und wie die Matura stattfindet. Einige, weil sie rasch ein (gutes) Maturazeugnis brauchen, um sich für ein Studium oder eine Stelle im In- oder Ausland zu bewerben. Andere wüssten gern bald die Rahmenbedingungen, um trotz schwieriger Lage Wege zu suchen, die Situation so gut wie möglich zu meistern. Wieder andere wären über eine Absage der Matura dankbar, weil damit zumindest einer der vielen Stressfaktoren wegfällt, für die einzelnen Betroffenen und die Familie.

STANDARD: Was also tun?

Krainer: Das Dringlichste ist, Klarheit zu schaffen, dass ein positiver Abschluss bis zu einem fixen Zeitpunkt – etwa bis zum Ende des Schuljahrs – für alle garantiert ist. Man könnte Noten in allen Maturagegenständen geben, basierend auf jenen Semestern der letzten Jahre, in denen der Gegenstand unterrichtet wurde. Das wäre ein Maturazeugnis in Minimalausprägung, das allein auf Vorleistungen basiert. Das wäre ein Notprogramm, aber es wäre ein Auffangnetz, das Sicherheit schafft.

STANDARD: Also eine "Notmatura" für den Corona-Jahrgang 2020?

Krainer: Viele Maturanten haben sich mit ihren Lehrkräften schon fleißig vorbereitet, eine vorwissenschaftliche Arbeit geschrieben, teilweise schon präsentiert. (Siehe dazu im Infokasten unten exemplarisch ein Protokoll einer Maturantin aus Oberösterreich, Anm.) Sie wollen die Matura schaffen, um nicht als "Corona-Maturanten" abgestempelt zu werden und um einzelne Noten zu verbessern, was etwa für ein Studium in Deutschland, wo zum Teil ein strenger Numerus clausus gilt, sehr relevant ist. Das Bildungsministerium hätte prinzipiell die Möglichkeit, die Matura durchzupeitschen und allenfalls jene, die aus nachvollziehbaren Gründen keine qualitätsvolle Vorbereitungsmöglichkeit haben, auf Antrag zu befreien und ein Maturazeugnis – in Minimalausprägung – auszustellen. Das hätte jedoch einen Bittsteller-Beigeschmack, welcher der prekären Situation nicht adäquat ist.

STANDARD: Was schlagen Sie vor?

Krainer: Man könnte auf die Selbstständigkeit der Jugendlichen setzen und jenen, die es können und wollen, die Möglichkeit geben, freiwillig Teile der Matura zu absolvieren. Diese Leistungen könnten – so sie zu einer Verbesserung der Note führen – im Zeugnis extra angeführt werden. Der Plan könnte so aussehen: Mitte Mai schriftliche Matura für alle, die sich freiwillig für eine oder mehrere Prüfungen melden, Mitte Juni mündliche Matura. Auf Wunsch könnte man auch die Präsentation der Vorwissenschaftlichen Arbeit oder eines selbstdefinierten Projekts in die Leistungserbringung aufnehmen und im Zeugnis vermerken; ein Beispiel wäre die Aufarbeitung einer Hilfstätigkeit im Zuge der Corona-Krise, eventuell auch digital präsentiert und diskutiert.

STANDARD: Was, wenn im Mai eine Matura schlicht nicht möglich ist, weil niemand rausdarf?

Krainer: Wenn die Situation keine freiwillige schriftliche Matura zulässt, wird sie auf Mitte Juni verschoben, die mündliche entfällt dann. Ist das auch Mitte Juni nicht möglich, dann wird automatisch für alle ein Maturazeugnis in Minimalausprägung ausgestellt. Damit ist sichergestellt, dass im Juni alle ein Maturazeugnis haben. (Lisa Nimmervoll, 1.4.2020)