Den PC herunterfahren, ein "schönes Wochenende" durchs Großraumbüro rufen, den Rucksack auf die Schultern schwingen und dann ab zum Donaukanal, in eine Bar, zum Abendessen oder Spieleabend mit Freunden. Das war mein typischer Freitagabend vor dem 13. März 2020, jenem Tag, an dem die Regierung darum bat, "das soziale Leben auf ein Minimum zu reduzieren".

Seitdem trennen nur noch zwei Mausklicks meine Arbeitswoche vom Wochenende: Microsoft Teams, die Software, mit der sich die STANDARD-Redaktion in Corona-Zeiten organisiert, schließen und Skype öffnen – das ist inzwischen zur Feierabend-Routine geworden.

Seit Restaurants, Bars und Clubs geschlossen sind und auch Treffen zu Hause unbedingt vermieden werden sollen, müssen andere Formen der Geselligkeit her. Die Phase verdammt Millionen Menschen weltweit zu Stubenhockern und stellt nicht nur die Internet-Infrastruktur, sondern auch Freundschaften auf die Probe. Kann "physical distancing" funktionieren, ohne dass man sozial auf Abstand geht?

Illustration: Fatih Aydogdu

Die unspannende Rettung der Welt

Wir probieren es jedenfalls. Mit zehn Freunden bin ich zur Skype-Party verabredet. Alle haben es sich auf dem Sofa mit Bier und Snacks bequem gemacht – nur eben jeder bei sich zu Hause. Sogar ein "Pubquiz" mit uralten Facebook-Posts meiner Freunde habe ich zusammengestellt.

Die Seifenblasen-Sounds gehen bald in blechernen Stimmen auf, und dann folgt das inoffizielle Begrüßungsritual der weltweiten Quarantänierten: "Könnt ihr mich hören?" – "Hallo? Hallo?" – "Ja, hallo?" – "Was ist das für ein Geräusch?" – "Sehts ihr mich?" Sticker von Webcams werden gelöst und Mikrofontreiber installiert, schließlich sind alle bereit.

Aber was erzählt man sich eigentlich? Die Welt ist im Ausnahmezustand. Es gibt einen globalen Feind, den es gemeinsam zu bekämpfen gilt. Aber alles, was der Einzelne tun kann, ist zu Hause bleiben und Netflix schauen. Die Rettung der Welt haben wir uns spannender vorgestellt.

Das erste Mal Dosenbrot

Trotzdem gibt es Anekdoten aus dem Leben in Quarantäne. Eine Freundin erzählt von ihren ersten Erfahrungen mit Dosenbrot, ein anderer versuchte sich im Keksebacken, ich stelle meine neue Haustaube vor, die sich ein Nest auf meinem Balkon gebaut hat, und erzähle von dem redebedürftigen 75-Jährigen, für den ich einkaufen gehe. Buchtipps mischen sich mit Home office-Erlebnissen und dem letzten Rest Unerzähltem aus den letzten Tagen in Freiheit. Ein Freund erzählt von seinem Nachbarn, den er beim 18-Uhr-Klatschen kennengelernt hat und mit dem er sich jetzt regelmäßig von Fenster zu Fenster quer über die Straße unterhält. Wenn das alles vorbei ist, wollen sie mal auf ein Bier gehen.

Ja, wenn das alles vorbei ist. Über kaum etwas anderes reden wir an diesem Abend leidenschaftlicher. Es ist der Lichtblick, der uns allen Trost spendet. Ein Hinwarten und -planen auf das erste Mal wieder gemeinsam verreisen, im Kaffeehaus sitzen. Die erste richtige WG-Party mit Approaching statt Distancing, einander umarmen, in die Augen schauen.

Schielen ins Nichts

Solange Webcams über und nicht in Bildschirmen montiert sind, ist gerade Letzteres unmöglich. Man schielt permanent knapp an allen vorbei ins Nirgendwo. Sprachliche Feinheiten wie Wortwitze fallen der Audiokompression zum Opfer, sonst vielsagende Gesten verpixeln sich am Weg zum Empfänger. Auch die Party-Playlist lässt sich nicht wirklich ins Gespräch einspeisen.

Die Gefahr, die Zeit zu übersehen und erst mit dem Morgengrauen an die fortgeschrittene Stunde erinnert zu werden, besteht bei der Skype-Party deshalb nicht. Nach drei Stunden wird es allmählich ruhiger, Köpfe werden auf Hände abgestützt, in den Augen spiegeln sich Müdigkeit und gesprächsfremde Browsertabs. Noch einmal Seifenblasen-Sounds und jeder ist wieder für sich.

Richtig ersetzen wird der Videochat echte Treffen nie. Trotzdem kann man einen netten Abend haben, man sieht und hört sich – ich fühle mich viel besser. Die nächste Freitagskonferenz ist jedenfalls geplant. (Philip Pramer, 1.4.2020)