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Die Maturaklassen könnten die Ersten sein, die wieder in die Schulen dürfen (oder müssen). Allerdings nur sie – Platz für geboten viel Abstand wäre dann zwangsläufig gegeben.

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Der Coronavirus-bedingte Schulausfall wird häppchenweise verlängert: Am Dienstag kamen weitere 13 Tage zur laufenden Frist bis Ostermontag dazu, denn Bildungsminister Heinz Faßmann sagte, dass es "realistisch gesehen" im April keinen regulären Betrieb geben wird. Eine "finale Antwort" auf die in diesen Tagen für Schüler, Eltern und Lehrer wohl wichtigste Frage, nämlich wann die Schulen wieder öffnen, "kann ich heute noch nicht geben", sagte er weiters. Nur so viel: Die Rückkehr der Schüler in die Schulen wird stufenweise erfolgen – beginnend mit den Maturaklassen, gefolgt von Jahrgängen am Ende der Pflichtschulzeit und "dann die anderen".

Stufenweise in die neue Normalität

Faßmann sprach von einer "stufenweisen Rückkehr zu einer neuen Normalität", die er anstrebe. Für das Homeschooling bis Ende April sollen die Lehrkräfte den Schülern Arbeitspakete zusammenstellen und übermitteln.

Ein Versprechen gab der Bildungsminister: "Alle können und werden ihren Abschluss machen. Wir werden für faire Bedingungen sorgen und Rücksicht auf die Sondersituation nehmen." Das gilt besonders für Maturantinnen und Maturanten, denen er aber auch nur sagen konnte: "Fragen Sie mich jetzt nicht, ob es der 19. Mai sein wird." Im STANDARD-Interview hatte Faßmann angekündigt, dass die Matura frühestens am 18. Mai beginnen wird. Eine Entscheidung dazu will er nach Ostern treffen. Vorerst eine Absage erteilte der Minister Forderungen nach einem Verzicht auf die Reifeprüfung oder einer autonomen Abhaltung durch die Schulen.

Kein Problem sieht Faßmann bei der Leistungsbeurteilung: Die gesetzlichen Regelungen würden einen großen Spielraum zulassen. "Das Corona-Semester ist kein normales Semester." Daher werde man den Spielraum auch "mit Herz und Hirn anwenden". Sollten sich ausständige Schularbeiten nicht ausgehen, würden nur die bisherigen Leistungen für die Benotung herangezogen.

Schülerpetitionen für "Durchschnittsmatura"

Weniger locker sehen das einige selbst Betroffene. Es gibt etwa eine Petition zweier oberösterreichischer Maturanten, die sie u. a. an Kanzler Sebastian Kurz gerichtet haben und in der sie "Keine Maturaklausuren in 2020!" fordern. Stattdessen wollen sie eine "Durchschnittsmatura" aus den Leistungen der letzten vier Semester: "Schüler, die es bis zur Matura geschafft haben, haben ohnehin bereits ihre ‚Reife‘ bewiesen." Bis Dienstagnachmittag hatte die Petition fast 12.000 Unterzeichner.

Eine Petition der SPÖ-nahen AKS lag da bei über 7000 Unterstützern. Sie will, dass das Maturazeugnis aus bereits erbrachten Leistungen in der Abschlussklasse errechnet wird – wie auch die grüne Schülerorganisation Verde Wien, die sich für "einen Schulabschluss basierend auf den Noten der Maturaklasse" ausspricht.

Die ÖVP-nahe Schülerunion hingegen meint: "Keine Matura ist auf keinen Fall die Lösung." Aber sie will längere Vorbereitungszeit und verkleinerte Themenpools bei der mündlichen Prüfung.

"Das ist reiner Sozialdarwinismus"

Für den Bildungswissenschafter Stefan T. Hopmann von der Universität Wien ist die Antwort auf die Frage "Was machen wir mit der Matura in Zeiten des Coronavirus?" ganz klar: "Ausfallen lassen! Was denn sonst?", sagt er im STANDARD-Gespräch und fordert: "Es darf keine Schularbeiten, Tests und natürlich auch keine Matura geben, weil sie alle im derzeitigen Ausnahmezustand pädagogisch verantwortungsvoll nicht durchführbar sind." Viele Kinder und ihre Familien hätten derzeit "so große existenzielle Sorgen und Probleme, dass es absolut verantwortungs- und empathielos wäre, jetzt auf die Durchführung der Matura zu drängen. Man weiß aus vielen Studien, dass solche Stresssituationen – und Corona ist eine historische Ausnahmesituation – angst- und krankmachende Folgen haben. Nicht alle Familien haben drei Computer, Flatrate etc. Das ist reiner Sozialdarwinismus, was da jetzt abläuft", kritisiert er.

Kein Schüler-Gerber-Moment

Diese zusätzliche Belastung dürfe man dem Maturajahrgang 2020 nicht auch noch auferlegen – ja, auch wenn nicht alle von ihnen in gleicher Weise belastet und vielleicht am Lernen gehindert würden. "Es wird ihnen nichts geschenkt, der Schaden wird nur nicht vergrößert. Das Einzige, was diesen Schülern entgehen wird, ist der Schüler-Gerber-Moment", meint Hopmann in Erinnerung an die "Viertelstunde Angst", die er selbst vor seinem Abitur in Deutschland verspürt hat.

Ginge es also nach ihm, dann würde die Maturanote 2020 als Durchschnittsnote aus den in der siebenten und achten Klasse erbrachten Leistungen errechnet. "Von mir aus sogar mit mündlichen Onlineprüfungen, aber niemand darf sich dadurch verschlechtern."

Niemand müsse sich sorgen, dass dieser Maturajahrgang irgendwelche Nachteile danach haben würde, betont Hopmann: "Es gibt keinen Anlass zu glauben, dass die akademische Leistung durch den Entfall der Matura geschmälert würde." Im Übrigen bildeten in den meisten Ländern ohnehin die schulischen Vorleistungen den Hauptteil der Matura.

Es geht um drei Prozent der Schülerlaufbahn

"Wir reden von drei Prozent einer durchschnittlichen Schülerlaufbahn", erinnert der Bildungsexperte: "Man soll doch bitte nach der Verhältnismäßigkeit fragen." Im Schnitt dauert eine Schullaufbahn, ob Lehre oder Matura, rund 100 Schulmonate. Und eine Anmerkung macht Hopmann noch: "Zwischen Ostern und Sommer 2020 wird das Wichtigste nicht in der Schule gelernt, sondern im Leben." (Lisa Nimmervoll, 31.3.2020)