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Junge Migranten im Hafen von Mytilene auf Lesbos warten auf ihren Transfer auf das Festland.

Foto: Reuters/Marcou

Wenn Covid-19-Infektionen sich in Flüchtlingslagern ausbreiten, geht es vor allem um Zeit. "Das Hauptproblem bei Covid-19 ist zweierlei: Das Virus ist ziemlich ansteckend und wird sich wahrscheinlich schnell in dicht besiedelten Gebieten ausbreiten, und die Akutversorgung – Intensivstationen oder Beatmungsgeräte – ist in Lagern sehr, sehr selten, was bedeutet, dass es sehr schwierig oder unmöglich sein wird, schwere Fälle zu behandeln", sagt Chiara Altare vom Zentrum für Humanitäre Gesundheit der Johns-Hopkins-Universität dem STANDARD.

Aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte, die die soziale Distanzierung sehr schwierig macht, seien Flüchtlingslager besonders anfällig für den Ausbruch von Infektionskrankheiten. Zudem würden die Hygienebedingungen zwar meistens Mindeststandards erfüllen, seien jedoch prekär. Außerdem sei die Wasserverfügbarkeit oft begrenzt. "Ausbrüche in Flüchtlingslagern konnten jedoch in der Vergangenheit dank der Arbeit von Regierungen der Gastländer, UN-Organisationen und Nichtregierungsorganisationen eingedämmt werden, erklärt Altare.

Mangelnde Ernährung

Generell seien Flüchtlinge in Relation zur Gesamtbevölkerung jung, doch die demografischen Daten seien von Land zu Land verschieden. "Binnenvertriebene und Flüchtlinge sind in der Regel anfälliger, da sie normalerweise von einer begrenzten Auswahl an Lebensmitteln abhängig sind", fügt Altare hinzu. "Die Impfrate kann außerdem gering sein, wenn die Bevölkerung aus Gebieten stammt, in denen keine Gesundheitsdienste vorhanden sind." Grundsätzlich wisse man aber noch nicht, wie sich Sars-Cov-2 bei unterernährten Kindern oder schutzbedürftigen Personen auswirke.

Die Expertin für Gesundheitsvorsorge in Flüchtlingslagern meint, dass zurzeit alle Akteure, die in humanitären Einrichtungen und speziell mit Vertriebenen arbeiten, sich auf die Einschleppung des Virus in ein Flüchtlingsumfeld vorbereiten, Programme anpassen, um die Ansammlung von Menschen zu begrenzen, Aufgaben zu verlagern und die am stärksten gefährdeten Personen zu schützen. "Die größte Herausforderung bei Covid besteht darin, dass einige Ansätze bisher noch nie getestet wurden und wir alle verschiedenen Optionen ausprobieren müssen, um festzustellen, ob sie in verschiedenen Kontexten machbar und akzeptabel sind", so die Wissenschafterin.

Schwierige Isolation

"Es ist immer eine schwierige Entscheidung, einen Teil der Gemeinschaft zu isolieren, umso mehr, wenn das Ziel die Vulnerabelsten sind", sagt Altare. Darüber hinaus gebe es physische Einschränkungen, in bestimmten Umgebungen stehe etwa nur sehr begrenztes Land für die Einrichtung von Isolationszentren zur Verfügung, begrenzte Ressourcen und begrenzte menschliche Kapazitäten.

Der Direktor des Zentrums für Humanitäre Gesundheit der Johns-Hopkins-Universität, Paul Spiegel, der die Lager selbst besucht hat, meint: "Es wäre extrem schwierig, einen Ausbruch von Covid-19 in den Lagern auf Lesbos einzudämmen." Bestimmte allgemeine Empfehlungen wie soziale Distanzierung und Händewaschen mit Seife würden für Flüchtlinge unter den beengten Verhältnissen und mit begrenztem Geld, etwa für den Kauf von Seife, schwieriger sein. In vielen Situationen werde es zudem schwer sein, die begrenzte Menge an Wasser zu erhöhen, meint Spiegel zum STANDARD.

"Wir gehen davon aus, dass es schlimmer sein wird"

Noch sei die Mortalität aufgrund von Covid bei Bevölkerungsgruppen mit einem schlechten zugrunde liegenden Gesundheitszustand wissenschatlich nicht dokumentiert. "Wir können jedoch davon ausgehen, dass es angesichts der Vorgeschichte anderer Krankheiten und Ausbrüche schlimmer sein wird", so Spiegel.

Die Weltgesundheitsorganisation hat Richtlinien für Maßnahmen in Flüchtlingslagern während der Coronavirus-Krise erstellt. Sie empfiehlt, dass die Camps räumlich ausgedehnt werden, damit Abstandhalten leichter wird und große Menschenansammlungen vermieden werden können. Auch die Verteilung von Essen und anderen Dingen soll so organisiert werden, dass die Leute sich nicht ansammeln. Zudem sollen Räume angedacht werden, die von Menschen genutzt werden müssen, die sich wegen einer möglichen Covid-Ansteckung in Selbstisolation begeben müssen.

Über Risiken aufklären

Wichtig sei, dass die Informationen zeitgerecht an die Bewohner der Camps weitergeleitet werden und diese über alle Risiken aufgeklärt werden. Mitgliedern von Hilfseinrichtungen, die potenziell einer Infektion ausgesetzt waren, sollte verboten werden, für 14 Tage ins Camp zu kommen, um den Virus nicht einzuschleppen. Falls es zu einer Infektion kommt, sollten auch die Kontaktpersonen der infizierten Person in Selbstquarantäne gehen, zumindest aber darauf geachtet werden, dass Bewegungen außerhalb ihrer Behausungen beschränkt werden.

Zudem sollte für jedes Camp ein Labor gesucht werden, das für die Covid-19-Testungen zuständig gemacht werden kann, und Krankenhäuser, die erkrankte Personen aufnehmen können. Vor allem aber geht es darum, dass Risikogruppen, also Menschen mit chronischen Erkrankungen, vor einer Ansteckungsgefahr besonders geschützt werden, indem sie etwa keine Krankenhäuser oder Ärzte mehr besuchen sollen, sondern im Camp selbst versorgt werden.

Soziale Faktoren als Risiko

Die WHO empfiehlt zudem, dass lokale Einflussnehmer in den Camps in die Risikoabschätzung und Kommunikation einbezogen werden. Auch auf mögliche Gerüchte im Camp sollte reagiert werden, um negatives Verhalten zu verhindern. Überfüllte Lager, wenig Zugang zu Ärzten und Medizin und Stress machten Menschen anfälliger für Atemwegserkrankungen. "Flüchtlinge und Migranten haben also aufgrund sozialer Faktoren der Gesundheit und nicht wegen eines schlechteren Immunsystems ein potenziell höheres Risiko, an Krankheiten wie Covid-19 zu erkranken", fasst Catharina de Kat vom WHO zusammen. (Adelheid Wölfl, 2.4.2020)